Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Gießen mit Heuchelheim an der Lahn (Hessen)
Jüdische Geschichte / Synagogen bis zur NS-Zeit

Es gibt zu Gießen bestehen weitere Textseiten (interner Link): 

bulletZur Geschichte der Rabbiner und weiterer Kultusbeamten im 19./20. Jahrhundert 
bulletBerichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde (und an der Universität) im 19./20. Jahrhundert  
bulletBerichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben  

 sowie eine Seite zur jüdischen Geschichte in Gießen nach 1945    
   
  
Übersicht:   

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
bulletZur Geschichte der Synagogen 
Die alte Synagoge in der früheren Zozelsgasse (bis 1865/67) 
Die neue Synagoge (nach 1887 liberale Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde, 1867 bis 1938) 
Die (orthodoxe) Synagogen der Israelitischen Religionsgesellschaft (1887, 1899 bis 1938)     
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte 
bulletLinks und Literatur   

     

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde(n) (english version)   
    
In Gießen bestand eine jüdische Gemeinde bereits im Mittelalter. Seit 1341 ließen Gießener Juden Darlehensgeschäft in die Frankfurter Gerichtsbücher eintragen. Namentlich genannt werden Jud Heilmann von Gießen 1345 bis 1349 in Frankfurt  und Jud Maseman von Gießen (1348). Von der Verfolgung in der Pestzeit 1348/49 waren auch die Juden in Gießen betroffen. Seit 1373 lassen sich wieder einzelne jüdische Personen in der Stadt nachweisen (1373 werden Samuel von Gleiberg und 1378 Seligmann von Rodinberg [= Rotenburg] als "Judenbürger zu Gießen" genannt; beide betrieben Geldhandel). Auch im 15. Jahrhundert lebten einzelne Juden / jüdische Familien in der Stadt. 1444 wurde die "Judenschaft zu Gießen" gebannt, weil sie die Zahlung der Krönungssteuer verweigerte. 
  
Im 16. Jahrhundert wird erstmals eine "Judengasse" (juddegaß, 1578) in der Stadt erwähnt. Sie lag unmittelbar nördlich der Stadtmauer innerhalb der Altstadt südlich des Marktes (identisch mit der späteren Rittergasse). 1622 gab es 22 jüdische Familien in der Stadt, die allerdings nach erfolglosen Bekehrungsversuchen der Kirche 1624 vertrieben wurden. Im Verlauf der kriegerischen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges flüchteten aus dem Busecker Tal einige jüdische Familien in die Stadt. 1661/62 wurden sie erneut ausgewiesen.  
  
Im Laufe des 18. Jahrhunderts konnten wiederum - zunächst nur wenige - jüdische Personen / Familien in Gießen zuziehen. 1719 wurden 13 Einwohner gezählt. 1770 waren es jedoch bereits 86, 1782 110 Personen.         
    
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1828 197 jüdische Einwohner, 1840 391 (4,5 % von insgesamt 8.669 Einwohnern), 1852 288, 1861 336, 1871 384 (3,7 % von 10.233), 1880 612 (3,6 % von 17.003), 1890 744 (3,6 % von 20.416), 1900 895, 1910 1.035 (3,3 % von 31.153).  
 
Zur jüdischen Gemeinde in Gießen gehörten auch die in den benachbarten Orten Heuchelheim und Steinbach (seit Auflösung der dortigen Gemeinde 1910) lebenden jüdischen Personen. In Heuchelheim lebten 1830 25 jüdische Einwohner.   
  
Seit 1887 gab es zwei jüdische Gemeinden in Gießen: die liberale Israelitische Religionsgemeinde und die orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft.  
    
An Einrichtungen gab es insbesondere eine Synagoge (beziehungsweise nach Gründung der Israelitischen Religionsgesellschaft zwei Synagogen s.u.), ein jüdisches Gemeindehaus (in der Lonystraße unweit der Synagoge Südanlage, errichtet 1879, abgerissen nach 1960), ein rituelles Bad (beziehungsweise rituelle Bäder), jüdische Schulen (Religionsschulen) und einen Friedhof (beziehungsweise zwei nebeneinander gelegene Friedhöfe). Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde(n) war ein Rabbiner angestellt (siehe folgender Abschnitt) sowie ein (bzw. zwei) Lehrer, der (die) zugleich als Kantor und Schochet tätig war(en). In besonderer Erinnerung blieben im 19. Jahrhundert: Lehrer S. Mayer (von 1852 über 50 Jahre bis nach 1892); im 20. Jahrhundert: in der Israelitischen Religionsgemeinde Lehrer Josef Marx (bis 1934); sein Nachfolger war bis 1937 Bernard Glusman (1934 bis 1937) und als Lehrer der Israelitischen Religionsgemeinschaft Bernhard Klein, der von 1888 bis 1932 in Gießen gewirkt hat. Sein Nachfolger war bis 1937 Erich Neumann.     
   
Bereits seit dem 18. Jahrhundert (1728) war Gießen Sitz eines Rabbinates. Im 19./20. Jahrhundert waren die Rabbiner (zugleich Landrabbiner bzw. ab 1842 Provinzialrabbiner von Oberhessen): Dr. Abraham Alexander Wolf (1827 bis 1829), Dr. Benedikt Samuel Levi (1829 bis 1896), Dr. David Sander (1897 bis 1939). Sander war Rabbiner der (liberalen) Israelitischen Religionsgemeinde Gemeinde beziehungsweise des Liberalen Provinzialrabbinates Oberhessen. Von 1895 bis 1933 hatte auch die orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft in Gießen mit Dr. Leo Hirschberg einen eigenen Rabbiner (und zugleich Orthodoxer Provinzialrabbiner von Oberhessen) angestellt.         
    
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: Unteroffizier Harry Rudolf Bauer (geb. 19.11.1886 in Weilburg, gef. 8.12.1914), Gefreiter Willy Doctor (geb. 25.11.1885 in Gießen, gef. 14.11.1916), Otto Grünebaum (geb. 15.2.1881 in Büdingen, gef. 2.9.1917), Offz.St. David Katz (geb. 15.1.1887 in Mainzlar, gef. 2.8.1918), Sally Levi (geb.8.2.1884 in Marburg, gef. 27.1.1916), Emil Lilienfeld (geb. 17.11.1879 in Neustadt, gef. 7.10.1916), Gefreiter Moritz Lomnitzer (geb. 19.4.1896 in Peiskretscham, gef. 1.6.1918), Oberarzt Hugo Mayer (geb. 13.9.1887 in Hungen, gef. 25.10.1917), Unteroffizier Jacob Rosenbaum (geb. 20.5.1885 Krofdorf, gef. 6.10.1914). Max Rosenbaum (geb. 23.9.1883 in Krofdorf, gef. 14.5.1917), Gefreiter Semmy Rothenberger (geb. 24.7.1883 in Gießen, gef. 26.9.1914), Max Speyer (geb. 3.7.1883 in Züschen, gef. 12.9.1915), Max Stern (geb. 18.2.1894 in Breidenbach, gef. 18.10.1915), Leopold Ulmann (geb. 1.9.1884 in Romrod, gest. an der Kriegsverletzung 27.3.1919), Sally Weinberg (geb. 31.12.1896 in Allendorf a.d. Lumda, gef. 21.3.1917) und Moses Max Windheil (geb. 29.4.1883 in Amöneburg, gef. 26.11.1917). Außerdem sind gefallen: Moritz Katz (geb. 11.10.1886 in Gießen, vor 1914 in Ludwigshafen wohnhaft, gef. 11.7.1916), Marco Loeser (geb. 4.11.1890 in Gießen, vor 1914 in Schwerin wohnhaft, gef. 7.10.1914), Unteroffizier Karl Theodor Hoddes (geb. 11.5.1894 in Gießen, vor 1914 in Bad Nauheim wohnhaft, gef. 27.1.1915). 
  
Bereits sehr früh - Ende des 19. Jahrhunderts und seit der Zeit des Ersten Weltkrieges - machte sich in Gießen ein starker Antisemitismus bemerkbar. 1920 (!) beschwerte sich die Israelitische Religionsgesellschaft beim Oberbürgermeister darüber, dass jüdische Schüler in den Schulen ständig gehänselt und die Fenster jüdischer Wohnhäuser und der Synagogen eingeworfen werden.   
  
1925 wurden 1.017 jüdische Einwohner in Gießen gezählt (3,0 % von insgesamt 33.600 Einwohnern). Unter den jüdischen Einwohnern gab es damals fünf Rechtsanwälte, drei Zahnärzte, vier Ärzte, sechs Lehrer, Studienräte und Referendare, neun Fabrikanten (u.a. Seifenfabrik Sternberg, Lack- und Farbenfabrik Sondheim), zwei Weinhändler, ein Juwelier; an Handwerkern gab es acht Metzger, vier Schneider, je ein Bäcker, Schuster, Installateur, Theaterarbeiter. Alle übrigen jüdischen Familienvorsteher waren als Kaufleute und Händler tätig; einige Banken befanden sich in jüdischem Besitz oder wurden von jüdischen Direktoren geleitet (u.a. Bankhaus Herz in der "Höhen Bäue", Privatbank in der Bahnhofstraße/Westanlage mit Direktor Hofrat J. Grünewald), Bankdirektor Heichelheim [Siegmund Heichelheim, Geh. Kommerzienrat und Albert Heichelheim]). An der Universität gab es jüdische Dozenten und Professoren, darunter der vielfach ausgezeichnete Mathematiker Prof. Dr. Moritz Pasch (gest. 1930) und der Jurist (jüdischer Abstammung) Prof. Dr. Leo Rosenberg.
   
1924 waren die Vorsteher der Israelitischen Religionsgemeinde Moritz Strauß (Schanzenstraße 22), Adolf Baer, Ludwig Liebmann, Leopold Mayer und Siegmund Rosenbaum. Liberaler Provinzialrabbiner war Dr. Sander. Als Kantor und Lehrer war Josef Marx tätig, als Gemeindesekretär Wilhelm Mühl, als Organist Albert Kasten, als Rechner Heinrich Junker, als Synagogendiener Anton Lehr und Benjamin Toronski. Den Religionsunterricht an den Volksschulen erteilte Lehrer Grünebaum, den an den höheren Schulen Rabbiner Dr. Sander und Lehrer Marx. An jüdischen Vereinen gab es u.a. den Israelitischen Hilfsverein e.V. (gegründet 1908; 1924/32 unter Leitung von Rabbiner Dr. Sander mit 100/120 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete: Wanderfürsorge, Wirtschaftsfürsorge), den Israelitischen Beerdigungsverein e.V. (gegründet 1867, 1924/32 unter Leitung von Ludwig Bock mit 150/256 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete: Krankenpflege, Bestattungswesen), den Israelitischen Frauenverein (1932 unter Vorsitz der Frau von Rabbiner Dr. Sander; Zweck und Arbeitsgebiet: soziale Fürsorge), den Synagogengesangsverein (1924 unter Leitung von Isidor Berliner und 40 Mitgliedern), die Israelitische Casino-Gesellschaft (1924 unter Leitung von Jacob Heilbronner und 110 Mitgliedern), eine Ortsgruppe des "Central-Vereins" (1924 unter Leitung von Hermann Hammerschlag mit 150 Mitgliedern). Bis 1932 hatte sich auch ein Verein Altersheim gegründet (1932 unter Vorsitz von Moritz Sternberg, Marburger Straße 44; Zweck und Arbeitsgebiet: Bau eines Altersheimes). An Stiftungen (Zweck: Unterstützung Hilfsbedürftiger) gab es 1932: die Arnstein-Stiftung, Dr. Levi-Stiftung, Adolf-Buch-Stiftung, Moritz Hirsch-Stiftung, Dr. Hugo Mayer-Stiftung, Heichelheim-Stiftung, Hermann- und Louise Katz-Stiftung.   1932 waren die Gemeindevorsteher der Religionsgemeinde Rechtsanwalt Eugen Rothenberger (1. Vors., Bahnhofstraße 76), Sally Meyerfeld (2. Vors., Marktstraße 30), Adolf Baer (3. Vors., Marktplatz 7) und zwei weitere Personen. Weiterhin war liberaler Provinzialrabbiner Dr. Sander (wohnt Landgrafenstraße 8); Lehrer und Kantor war weiterhin Josef Marx (wohnhaft Lonystraße 4). Die beiden hatten an den Schulen der Stadt im Schuljahr 1931/32 insgesamt 127 Kindern den Religionsunterricht zu erteilen.    
  
1924 waren die Vorsteher der Israelitischen Religionsgesellschaft (seit 1923 staatlich anerkannte öffentliche Gemeinde mit etwa 400 Mitgliedern) Alfred Fröhlich (Nordanlage 31), Sigmund Hirsch, L. Wetterhahn und Sigmund Fuld. Orthodoxer Provinzialrabbiner war weiterhin Dr. Leo Hirschfeld. Als Lehrer und Kantor war Bernhard Klein tätig, als Synagogendiener ein Herr Hebell. Die Religionsschule der Religionsgesellschaft besuchten 60 Kinder. 1932 waren die Gemeindevorsteher Alfred Fröhlich (1. Vors.), Ferdinand Baer (2. Vors., Nordanlage 31), Salli Wetterhahn (3. Vors., Größerstraße). Orthodoxer Provinzialrabbiner war weiterhin Dr. Leo Hirschfeld (wohnt Ludwigstraße). Als Lehrer, Kantor und Schochet war weiterhin Bernhard Klein tätig (wohnt Seltersweg 81). Er erteilte im Schuljahr 1931/32 etwa 30 Kindern den Religionsunterricht. Rabbiner Dr. Hirschfeld war Leiter der Agudas Jisroel Jugendgruppe.             
   
1933 wurden 855 jüdische Einwohner in Gießen gezählt (2,4 % von insgesamt 35.913 Einwohnern). In den folgenden Jahren ist ein großer Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Andere Personen sind von kleineren Orten der Umgebung noch in Gießen zugezogen, sodass eine 1962 angefertigte Liste über die 1933 und später in Gießen wohnenden jüdischen Personen insgesamt 1.229 Namen umfasst. Am 31. August 1937 wurden noch 358 jüdische Personen in der Stadt gezählt, am 5. August 1938 364, am 31. März 1939 287, am 31. Dezember 1940 183 und unmittelbar vor Beginn der Deportationen am 5. Februar 1942 170 Personen. Am 15. Juli 1936 wurden im Gewerberegister der Stadt Gießen noch 129 Betriebe genannt, die in "nichtarischem" Besitz waren, am 1. Oktober 1938 nur noch 53, am 21. Januar 1939 nur noch sechs. Von den 465 nachweislich ausgewanderten Personen konnten die meisten in die USA (176) und nach Palästina (185) einreisen; etwa 450 Personen verzogen zwischen 1933 und 1941 in andere Städte, viele nach Frankfurt oder Berlin.  
 
An der Universität wurden die jüdischen Professoren / Dozenten bis spätestens 1936 allesamt entlassen.  
 
Beim Novemberpogrom 1938 wurden die Synagogen zerstört (s.u.). Mehrere Geschäfte, die noch im Besitz jüdischer Personen waren, wurden demoliert und geplündert. Die meisten der jüdischen Männer wurden verhaftet und in das KZ Buchenwald verschleppt. Durch ein Gesetz vom 30. April 1939 wurde die Zusammenlegung jüdischer Familien in sogenannte "Judenhäuser" vorbereitet. Die Zusammenlegung erfolgte bis 1941 in äußerst bedrängten Verhältnissen in den Häusern Liebigstraße 33 und 37, Marburger Straße 44, Asterweg 53 und Wetzlarer Weg 17. 1942 lagen die Ghettohäuser in der Walltorstraße 42 und 48 und in der Landgrafenstraße 8. Am 14. September 1942 wurden die in der Stadt noch lebenden jüdischen Personen (141 Personen) sowie aus Orten der Umgebung (neun aus Wieseck, 180 aus weiteren Orten) in einem Massenquartier in der Goetheschule (Westanlage 43) eingesperrt. Am 16. September 1942 erfolgte über den Güterbahnhof die Deportation (über Darmstadt in Vernichtungslager des Ostens, teilweise in das Ghetto Theresienstadt). Nur fünf [nach Angaben der Gedenktafel sechs] der damals deportierten Personen haben überlebt (Salomon Max Baer, Dina Engel, Ludwig Rosenbaum, Johanna Sander und Louis Stern). In der Stadt verblieben nur wenige in sogenannter "Mischehe" lebenden jüdischen Personen. Sie wurden noch im Februar 1945 deportiert. 
  
An die Deportation erinnert eine Gedenktafel an der Goetheschule mit der Inschrift: "Westanlage 43 - In diesem Gebäude der Goetheschule wurden 1942 Mitte September 330 jüdische Frauen, Männer und Kinder aus Gießen und Umgebung zusammengetrieben. Sie wurden in Viehwaggons in die nationalsozialistischen Vernichtungslager verschleppt. Nur sechs von ihnen überlebten die Hölle von Auschwitz und Theresienstadt und kehrten zurück".           
     
Von den in Gießen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"):  es sind nach den vorliegenden Listen mindestens 236 Personen umgekommen / ermordet worden
    
   
Über die nach 1945 wieder entstandene jüdische Gemeinde besteht eine weitere Seite.   
  
  
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
 
Es bestehen die folgenden Textseiten:

bulletZur Geschichte der Rabbiner und weiterer Kultusbeamten im 19./20. Jahrhundert 
bulletBerichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde (und an der Universität) im 19./20. Jahrhundert  
bulletBerichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben  

    
   
Zur Geschichte der Synagoge     
   
In der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert gab es vermutlich einzelne Betstuben in jüdischen Häusern. 
Wann eine erste Synagoge erbaut wurde, ist nicht bekannt. 
  
  
Die alte Synagoge in der früheren Zozelsgasse (bis 1865/67)     

Nähere Kenntnis hat man erst von der sogenannten "alten Synagoge" in der - auf Grund der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und dem anschließenden veränderten Wiederaufbau - nicht mehr bestehenden Zozelsgasse (nach ursprünglicher Adresse Gebäude Schulhof Nr. 60 im Altstadtbezirk [Literae] A). Das Gebäude ist als Wohnhaus erhalten. Der Synagogensaal befand sich in dem quer zur Straßen liegenden Gebäude mit geschweiftem hohem Walmdach; der Synagogeneingang lag wahrscheinlich an der nordwestlichen Seite. Auch ein rituelles Bad war in diesem Gebäude untergebracht. Wann diese alte Synagoge erstellt wurde, ist nicht bekannt. Auf Grund der Entwicklung der Zahl jüdischer Einwohner in Gießen ist die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts anzunehmen. Bereits in der alten Synagoge war eine Orgel vorhanden, als Organist war neben dem Dienst beauftragten christlichen Organist auch der "talentvolle" Sohn von Rabbiner Dr. Levi  - gemeint der spätere Generalmusikdirektor Hermann Levi (1839-1900) - tätig, wie aus dem nachstehenden Artikel hervorgeht:
  
Gottesdienste in der alten Synagoge mit Orgelbegleitung (1852)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelitische Volksschullehrer" vom Juli 1852 S. 174-175: "Aus Gießen wird uns mitgeteilt: seit einem halben Jahre findet der Gottesdienst in hiesiger Synagoge regelmäßig mit Orgelbegleitung hebräischer und deutscher Gebete und Gesänge statt. In Verhinderungsfällen des (christlichen) Organisten vertritt der talentvolle Sohn des hiesigen Rabbiner Dr. Levi, ein Knabe von erst zwölf Jahren, dessen Stelle. Eine Reihe erfreulicher Gedanken knüpft sich an diese Erscheinung; insbesondere die Hoffnung, dass im ganzen weiten Kreisrabbinate, welches viele strebsame Gemeinden und tüchtige Lehrer zählt, dieses Beispiel und Vorbild zahlreiche Nachahmung finden werde. - Bei der kürzlich hier vollzogenen Wahl eines neuen Stadtvorstandes ist, und zwar von konservativer Seite, Herr Hofgerichts-Advokat Rosenberg, Mitglied des israelitischen Religionsgemeinde-Vorstandes, mit ansehnlicher Stimmenmehrheit in denselben gewählt worden. - Endlich mögen ihre Leser noch erfahren, dass von elf hier studierenden hessen-darmstädtischen Jünglingen unseres Glaubens drei ordentliche Stipendien aus der Staatskasse oder dem Universitätsfond erhalten, gewiss ein Beweis wahrhaft humaner Gesinnung unserer Staatsregierung und ein Zeichen nicht bloß papierner Emanzipation."         
  
Giessen HLevi 010.jpg (53402 Byte)links: Hermann Levi (1839-1900), der spätere Generalmusikdirektor in München - Dirigent von Werken Richard Wagners: in seiner Jugend vertrat er den christlichen Organisten in der alten Synagoge in Gießen.   

    
    
Die neue Synagoge (nach 1887 liberale Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde, 1867 bis 1938)   
    

Die alte Synagoge war durch die im Laufe des 19. Jahrhunderts weiter stark ansteigende Zahl der jüdischen Gemeindeglieder in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu klein geworden. 1865/67 wurde eine neue, repräsentative Synagoge in der Südanlage erstellt.  Die alte Synagoge wurde verkauft und in der Folgezeit zu einem Wohnhaus umgebaut. Die Einweihung der neuen Synagoge erfolgt durch Rabbiner Dr. Levi am 31. Mai 1867. In den vorliegenden jüdischen Periodika wurde zwar kein Bericht zur Einweihung veröffentlicht, doch erfolgte ein Hinweis auf die Veröffentlichung der zur Einweihung von Rabbiner Dr. Levi gehaltenen Predigt:     
    
Predigt zur Einweihung der neuen Synagoge (1867)    

Giessen AZJ 09071867.jpg (108584 Byte)Hinweis auf die Predigt zur Synagogeneinweihung in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Juli 1867: "Die 2. Predigt ist 'die Synagogenweihe in Gießen, am 31. Mai 1867 von Dr. Levi, Großherzoglicher Rabbiner der Provinz Oberhessen, Gießen 1867.' Wir erhalten hier die Abschiedsrede in der alten Synagoge, die Weihegebete und Predigt in der neuen. Alle drei Stücke sind trefflich an Form und Inhalt, vom frömmsten Geiste in edelster Sprache beseelt. Text 3. Mose 26, 11-13. Der Redner weist nach: 1) 'Israels neue Gotteshäuser zeugen davon, dass Israels Glaube zwar alt, aber nicht veraltet ist; 2) dass er sich in seinen Formen allen Bildungsstufen und allen Heimatverhältnissen anschmiegt, und 3) zeugen sie davon, dass die Menschheit immer mehr und mehr der höheren Vollendung entgegen reift, die ihr von den alten Propheten als Endziel vorgesteckt und verheißen worden ist.' Die neue Synagoge ist mit einer Orgel versehen, welche im Gottesdienste eine wesentliche Verwendung gefunden." 

Über die Geschichte der Synagoge liegen einzelne Berichte vor. Nachstehend ein Bericht über einen Einbruch in der Synagoge 1879. Hieraus lässt sich einiges über die damals vorhandenen - wenn auch üblichen - Kultgegenstände in der Synagoge entnehmen.   
    
Einbruch in der Synagoge (1879)   

Giessen AZJ 16091879s.jpg (262971 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. September 1879: "Gießen, 1. September (1879). Eine Mitteilung höchst unerquicklicher Natur ist es, die ich Ihnen heute zu machen habe. In der Nacht vom 28. auf den 29. August dieses Jahres wurde in unserer fast noch neuen und schönen Synagoge von zwei hiesigen Bewohnern eingebrochen und mit wahrem Vandalismus gehaust. Die entwendeten und später in einem der Stadt nahe gelegenen Acker wieder aufgefundenen Wertobjekte zeugten deutlich von der Zerstörungswut der Räuber neben ihrer Raubsucht. Doch erzählen wir den Vorgang an Hand der Tatsachen. Dem Synagogendiener, der, um Vorkehrungen für den Sabbat (Paraschat Ki Teze, Schabbat mit der Toralesung Ki Teze = 5. Mose 21,10 - 25,19, das war am 30. August 1879) zu treffen, ins Gotteshaus getreten war, zeigten sch schon an dem in der Vorhalle aufgestellten Kassaschranke erhebliche Spuren eines gewaltsamen Einbruchsversuchs wobei ihm gleichzeitig das Fehlen der dort angehängten und festgenieteten Armenbüchse auffiel. (Diese und noch eine andere wurden später, ihres Inhalts, etwa 30 Mark, entleert, wieder aufgefunden.) Aber noch schlimmer sah es im Innern aus: der Schrank, in welchem die teils sehr wertvollen Parochet (bzw. Parochot = Toraschreinvorhänge) ruhen, war gewaltsam erbrochen, seines Inhalts größtenteils beraubt, und nur ein Teil eines Samtvorhangs, nachdem die Goldstickereien mit einem Messer herausgeschnitten waren, liegen geblieben. Nur das Parochet für Neujahr und Jom Kippur war noch unversehrt, wenn auch beschmutzt, vorhanden. Außerdem waren noch folgende Gegenstände annektiert: zwei silberne Becher, eine desgleichen (sc. silberne) Jad (Torazeiger) und zwei solche Ez Chajim (sc. Stäbe, auf denen die Tora gewickelt ist); sogar die messingene Menora war nicht verschmäht worden. Der Aron HaKodesch (Toraschrein) war angebohrt; da diese Arbeit den Dieben jedoch zu zeitraubend erschien, so zogen sie es vor, denselben zu erbrechen. Ja, sogar der Schulchan (Vorlesetisch) zeigt Spuren der Verstümmelung.  
Der Synagogendiener begibt sich sogleich zu unserem Rabbiner, Herrn Dr. Levi. Dieser eilt herbei. Wer aber beschreibt seinen Schrecken, als er beim Öffnen des Toraschreines wahrnimmt, dass die frevelhafte Hand sich nicht entblödet hat, auch die Torarollen zu berauben. Zwar haben die diese selbst nicht zu verstümmeln gewagt, aber die vier schönsten Mäntelchen von rotem Samt und goldgestickter Inschrift hatten sie geraubt.   
Nachdem nun die Torarollen wieder in Ordnung gebracht worden waren, wurde von dem Vorfall Anzeige gemacht und die hiesige Polizei (sehr wohl organisiert und ausgezeichnet geführt) zum Auffinden der Frevler in Bewegung gesetzt. Schon am Nachmittag desselben Tages - Freitag - waren die Übeltäter dingfest gemacht und die geraubten Gegenstände gerichtlich eingebracht. Die Ehefrau des einen Diebes hatte die Sache selbst zur Anzeige gebracht, und so erwartet denn die Diebe eine nicht geringe Strafe, zumal man ihnen auch noch einen eklatanten Kirchenraub in V. zuschreibt, der damals die Polizei starb beschäftigte, dessen Täter bis heute aber noch nicht ermittelt werden konnten. 
Man kann sich lebhaft denken, dass dieser Vorgang geeignet war, alle Gemüter in Schrecken und Aufregung zu versetzen. Am Samstag sprach unser Rabbiner mit gewohnter Beredsamkeit über den Vorgang, dessen Folgen durch die glückliche Fügung bald überwunden sein werden."     
 
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. September 1879: "Gießen, 29. August (1879). Der Kirchenraub scheint in unserer Gegend epidemisch zu werden. Nachdem aus mehreren Orten solche Einbrüche in Kirchen berichtet wurden, war in verwichener Nacht unsere Synagoge zu diesem Bubenstück ausersehen; die wertvollsten Vorgänge und Torabegleitung sind teils entwendet, teils sind die Goldstickereien herausgeschnitten worden. Auch an dem Silberschranke sind Versuche gemacht worden, derselbe konnte jedoch nicht erbrochen werden. - Soeben, vor Abgang dieses Berichtes, sind zwei Individuen verhaftet, die der Tat auch sofort überwiesen werden konnten; die gestohlenen Sachen wurden in einem defekten Zustande aufgefunden."    

    
Der Gottesdienst anlässlich des Geburtstages des Kaisers soll weiterhin am Schabbat gefeiert werden (1892)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. Februar 1892: "Gießen, im Februar (1892). Auf die Anfrage des Herrn Regiments-Kommandeurs Oberst Perthes hier, ob ich beabsichtige, zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers am 2. Januar besonderen Militärgottesdienst abzuhalten, erwiderte ich das Folgende: 'Auf das verehrliche Schreiben Eurer Hochwohlgeboren vom 11. dieses Monats beehre ich mich ganz ergebenst zu erwidern, dass ich glaube, bei meiner bisherigen Gepflogenheit, den Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers, gleich dem Seiner Königlichen Hoheit unseres Großherzogs am Samstag vorher zu zelebrieren, verbleiben zu sollen, und zwar aus folgendem, ich hoffe Ihnen einleuchtendem Grunde: Dem militärischen Gottesdienste am Geburtstage Seiner Majestät des Kaisers in der evangelischen und katholischen Kirche wohnen neben den vielen Hunderten von Gemeinen alle militärischen Chargen vom Regiments-Kommandeur bis zum Unteroffizier herab, samt ihren Frauen und Familien und viele andere Staatsbedienstete bei. Die resp. Geistlichen sprechen da zu diesen, nicht minder wie zu dem gemeinen Soldaten; und das gestaltet sich zu allgemein erhebender Feier. Der militärische Gottesdienst dagegen, den der geh. Unterzeichnete an dem Allerhöchsten Geburtstage für die wenigen jüdischen Soldaten anordnete, und dem nur diese wenigen beiwohnen, verdient kaum diesen Namen, er wäre aller Solennität, aller Erhebung und Andacht bar. Wohingegen die Verbindung der Geburtstagsfeier mit dem vorangehenden Sabbatgottesdienst, dem die ganze Gemeinde anwohnt, ihr die rechte Weihe gibt. Ich bitte darum verehrliches Regiments-Kommando ergebenst, die jüdischen Soldaten der Garnison auf Samstag, den 23. Morgens 9 Uhr zur Synagoge befehlen zu wollen.' - Hierauf erhielt ich folgendes Schreiben: 'Euer Hochwürden beehrt sich das Regiment auf das gefällige Schreiben vom 12. dieses Monats ergebenst mitzuteilen, dass es dem Wunsche Eurer Hochwürden gemäß am Samstag, den 23. dieses Monats Morgens 9 Uhr sämtlich jüdische Soldaten des Regiments zur Synagoge schicken wird.' - Und so geschah es auch und so gedenke ich es auch weiter zu halten. Rabbiner Dr. Levi."       

 

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. April 1892:  "Gießen, 21. März (1892). In der hiesigen Synagoge fand gestern Morgen auf Anordnung des Großherzoglichen Rabbinats für den dahingeschiedenen hochseligen Großherzog Ludwig IV. ein Trauergottesdienst statt, dem sämtliche Gemeindeangehörigen und die hier garnisonierenden jüdischen Soldaten beiwohnten. Die Trauerrede des greisen Oberrabbiners Herrn Dr. Levi, sowie die vom Kantor und Synagogenchor ausgeführten Gesänge wirkten auf alle Anwesenden tief ergreifend. Auch in allen übrigen Synagogen des Rabbinatsbezirks fanden Trauergottesdienste statt."          

   
1892
wurde die Synagoge wesentlich erweitert. Sie hatte danach 272 Männer- und 196 Frauenplätze. In der Synagoge befand sich eine Orgel. 1912 erfolgte eine gründliche Innenrenovierung und Neubemalung durch Malermeister Groß:  
   
Die Synagoge wurde im Inneren neu hergerichtet und ausgemalt (1912)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. Oktober 1912: "Gießen, 24. September (1912). Die große Gemeinde hat in den letzten Monaten die Synagoge im Innern neu herrichten lassen. Die Kunst des Malermeisters Groß hat den inneren Raum des Gotteshauses in byzantinischem Geschmack geziert. Die Wände des Baues wurden mit einem in braungrauem Ton gehaltenen mattgold durchwirkten stoffähnlichen Muster gemalt. Darüber streckt sich die kräftige Balkendecke, in deren himmelblauen Feldern goldene Sterne zu sehen sind. Die erst vor einigen Jahren angebrachten bronzenen Beleuchtungskörper, die für elektrisches Licht eingerichtet sind, unterbrechen die Malerei wirksam. Die an drei Seiten den Innenraum der Synagoge umziehende Galerie und die Orgel sind passend zur Wandmalerei getönt und durch kräftiger wirkende Vergoldung hervorgehoben. Die in grünem Marmor gehaltenen Säulen mit ihren reich vergoldeten Kapitellen, die die Galerie tragen, heben sich wirkungsvoll ab. Den Glanzpunkt der Innenausstattung bildet die heilige Lade, die ein Meisterwerk darstellt. Die halbrunde, oben muschelartig abgeschlossene Nische ist in hellen Farben und matter Vergoldung behandelt. Die Nebenräume und Treppenaufgänge sind ebenfalls im byzantinischen Stil, aber einfacher als der Hauptraum, hergestellt. Die Synagoge soll im kommenden Jahre auch äußerlich erneuert werden."     

1917 hat - mitten im Ersten Weltkrieg - die Israelitische Religionsgemeinde das 50-jährige Bestehen der Synagoge gefeiert:      

50-jähriges Bestehen der Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde (1917) 
  

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Juni 1917: "Die Israelitische Religionsgemeinde in Gießen feierte am 27. Mai, dem ersten Schawuottag (sc. Wochenfest), das 50-jährige Bestehen der Synagoge in der Südanlage. Aus diesem Anlass hat der Gemeindevorstand eine ansehnliche Summe als Stiftungsfonds bereitgestellt, über dessen Verwendung erst nach dem Kriege endgültiger Beschluss gefasst werden soll."       

    
60-jähriges Bestehen der Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinschaft (1927)       

Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck" vom 13. Mai 1927: "Gießen. ... Am 6. Juni begeht die Religionsgemeinschaft die Feier des 60-jährigen Bestehens der 1867 erbauten Synagoge, die 1892 beim 25-jährigen Jubiläum noch eine Vergrößerung erfuhr. Aus diesem Anlass findet ein Festgottesdienst statt..."      

  
  
Die (orthodoxen) Synagogen der Israelitischen Religionsgesellschaft (1867, 1899 bis 1938)        
 
1887 wurde eine erste Synagoge eingerichtet. Von 1889 liegt ein Bericht über die Einweihung einer Tora-Rolle in dieser Synagoge vor: 
   
Einweihung einer Tora-Rolle in der Synagoge der Religionsgesellschaft (1889)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. November 1889: "Gießen, im November (1889). Am jüngst verflossenen Simchat Tora (sc. war am 18. Oktober 1889) beging die hiesige Religionsgesellschaft in ihrer Synagoge eine schöne und erhebende Feier. Dieselbe legte Zeugnis ab, von der gedeihlichen Entwicklung dieser Gesellschaft und von dem religiösen Eifer, der dieselbe in allen ihren Mitgliedern beherrscht. 
Einige Mitglieder der Religionsgesellschaft hatten den Plan gefasst, auf ihre Kosten eine Sefer-Tora (Torarolle) bei Herrn Grünebaum in Fulda schreiben zu lassen. Die Einweihung dieses Sefers fand nun am genannten Simchat Tora statt. Aufs Schönste war die Synagoge mit Tannenreis und Topfgewächsen geschmückt. Das Sefer selbst, befand sich bei einem Mitgliede der Gesellschaft in der Nähe der Synagoge. Von dort holte es der erste Vorstand, Herr A. Marcus, in Begleitung der zwei ältesten Mitglieder der Gesellschaft ab. In der Synagoge hatte unterdessen der Kantor und Lehrer der Religionsgesellschaft, Herr B. Klein, unter feierlicher Stille, in der bis auf den letzten Platz gefüllten Synagoge den Vortrag des 19. Psalms angestimmt. In dem Augenblicke, als er den Vers vortrug 'Die Tora des Ewigen ist untadelig, seelenerquickend...' (Psalm 19,8) erschien Herr Marcus mit dem neuen Sefer, während die übrigen Seforim (Torarollen) der Gesellschaft von anderen Mitgliedern entgegen getragen wurden. Unter Leitung des Kantors wurde der Gesang Mah towu unter Begleitung einiger direkt dazu eingeübter Mitglieder der Gesellschaft, ausgeführt. Hierauf wurden die Seforim (Torarollen) in den Toraschrein gestellt und nach Absingung verschiedener Psalmen, des 'Dir ist es gezeigt worden, dass Du erkennest...' (nach 5. Mose 4,35) und der Umzüge (sc. mit den Torarollen) wurde der Schluss der Tora, die Parascha Wesot Habracha (sc. 5. Mose 33,1 - 34,12, der Wochenabschnitt in der Woche von Simchat Tora) aus dem neuen Sefer verlesen. Nach Beendigung der Toravorlesungen nahm Herr Lehrer Klein das Wort zu einem Vortrage und führte etwa folgendes aus: 
Es sei doch auffallend, dass man an dem Tage, da man den Gemeinden Israels den Tod des großen Lehrers Moses verkündet, den herbsten aller Verluste, dass man an diesem Tage in allen Gemeinden Israels einen Freudentage begehe. 
Der Redner suchte diesen offenkundigen Zwiespalt dadurch auszugleichen, indem er erklärend ausführte, dass die Freude berechtigt sei, in Folge des Vermächtnisses, das uns dieser Lehrer und Meister hinterlassen hat. Wohl hat Moses sein ganzes Leben dem Volke Israel geweiht, und es aus der niedrigsten Knechtschaft zu einem höheren Leben geführt, aber auch in seinem Tode noch hat er dem Volke genützt, indem er ihm die heilige Tora, jenes unveräußerliche Gut, hinterlassen. Redner dankte hierauf den Spendern des neuen Sefer, dem Frauenverein der Religionsgesellschaft, welche in edler Weise ein prächtiges Mäntelchen für die neue Torarolle gestiftet. Mit dem Vers: 'Erhöre Ewiger, die Stimme Jehudas, und zu seinem Volke geleite ihn; ihm zur Seite streite für ihn, und Beistand sei ihm gegen seine Dränger' (5. Mose 33,7) schloss Herr  Klein seine Rede, indem er Gott anfleht, das Gebet der hier Versammelten zu erhören, und ihnen auch ferneren Schutz gegen ihre Feinde angedeihen zu lassen.' Einen nachhaltigen Eindruck hat diese schöne Feier auf die Herzen aller Zuhörer geübt. Möge die israelitische Religionsgesellschaft weiter Gelegenheit haben, so wahrhaft religiöse Feste zu feiern."         

   
Die Israelitische Religionsgesellschaft plant den Bau einer neue Synagoge (1894)
   
Anmerkung: im nachstehenden Artikel wurden die beiden Gemeinden verwechselt. Da von der Israelitischen Religionsgemeinde die Synagoge 1893 erweitert wurde, bezieht sich der Plan des Baus der zweiten Synagoge auf die Israelitische Religionsgesellschaft.  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. August 1894: "Gießen, 4. August (1894). Der 'Mainzer Anzeiger' schreibt: Hier soll eine zweite Synagoge errichtet werden und zwar durch die israelitische Religionsgemeinde; die bereits vorhandene, im vorigen Jahre erweiterte Synagoge gehört der israelitischen Religionsgesellschaft."     

  
Für die Synagoge, Mikwe und Religionsschule der Israelitischen Religionsgesellschaft wird ein Bauplatz erworben (1898)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Februar 1898: "Gießen. Vor einigen Tagen hat die israelitische Religionsgesellschaft hier, zum Zwecke ihrer bald neu zu errichtenden Synagoge, Mikwoh und Religionsschule, einen der Stadt gehörigen, im Mittelpunkt derselben liegenden Bauplatz erworben. Mit Beginn des Frühjahres wird unter göttlichem Beistande mit dem Bau begonnen werden. Man beabsichtigt, daneben noch weiteres Terrain zu kaufen, um ein Gemeindehaus zu bauen."      

     
Einweihung der Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft (1899)
   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Juli 1899 (leicht abgekürzt wiedergegeben): "Gießen, 23. Juli (1899). Eine wirkliche Freude über die (Erfüllung) eines göttlichen Gebotes ist es, von der ich Ihnen heute berichten will, eine Freude über die Erfüllung eines göttlichen Gebotes in des Wortes  wahrster und schönster Bedeutung. Darf die Einweihung einer Synagoge im Allgemeinen als eine solche bezeichnet werden, so gilt dies ganz besonders von dem einer Religionsgesellschaft, deren Synagoge hervorgerufen wurde durch (hebräisch und deutsch:) die religiöse Zerrüttung, die sich innerhalb der Gemeinde geltend machte. Wer hätte aber noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit in Anbetracht der hiesigen religiösen Zustände nicht geglaubt, dass hier in Gießen ..., dass hier gänzlich die Errichtung von jüdischen Gemeindeinstitutionen nach traditioneller Art ausgeschlossen sei? Und doch zeigen uns die eben erlebten Festlichkeiten, dass das Unwahrscheinlichste zur Wirklichkeit geworden ist, Gott hat geholfen, was zu seiner Ehre unternommen wurde, er hat es gelingen lassen. Freitag Nachmittag, 1 Uhr fand in dem alten Betlokale ein Abschiedsgottesdienst statt. Nachdem man Mincha gebetet hatte, hielt der Rabbiner der Religionsgesellschaft, Herr Provinzial-Rabbiner Dr. Hirschfeld - sein Licht leuchte - die Abschiedspredigt, in welcher er u.a. den Gedanken ausführte: Beim Auszug aus Ägypten heißt es: 'denn        
Giessen Israelit 27071899aas.jpg (212374 Byte)zuerst ein Fest zu Gottes Ehre, so verlassen auch wir die Stätte, die uns 12 Jahre lang als Gotteshaus gedient nicht, ohne zuvor noch einmal hier unser Gebet zu Gott emporgesandt zu haben. Nach der Predigt wurden die Torarollen feierlich ausgehoben und an ihre Träger übergeben. Vor dem Betlokal wurden sie unter eine Chuppa gebracht, und nun setzte sich der Zug zur neuen Synagoge in Bewegung, den die Schuljugend eröffnete. Ihr folgte Musik, der Kantor mit dem Synagogenchor, die Schlüsselträgerin, die Toraträger, unter der von vier jungen Herren getragenen Chuppa, der Provinzialrabbiner, der Vorstand, die Gäste und die Mitglieder der Religionsgesellschaft. Vor der neu erbauten Synagoge traf der Vertreter der Großherzoglichen Regierung, Großherzoglicher Provinzial-Direktor von Bechtold ein, dem der Schlüssel überreicht wurde. Dieser übergab ihn dem Vorstand der Religionsgesellschaft, Herrn Bankier Grünewald, der ihm dem Herrn Rabbiner einhändigte, welcher nun die Synagoge mit dem Vortrag des 'Öffnet mir die Tore der Gerechtigkeit...' öffnete. Nach dem Eintritt in die Synagoge sang der von Herrn Kantor Klein trefflich geschulte Chor das Mah Towu, worauf das Anzünden des Ner tamid (Ewiges Licht) mit einem ergreifenden Gebete des Herrn Rabbiners - sein Licht leuchte - erfolgte. Daran reihte sich der Chorgesang 'Verherrlicht den Ewigen mit mir...' (nach Psalm 34,4), und die Umzüge mit den Torarollen, denen sich das feierliche Einheben der Torarollen anschloss. Nun hielt Herr Rabbiner Dr. Hirschfeld - sein Licht leuchte - die nach Form und Inhalt ausgezeichnete Festpredigt, welche mit einem Gebete auf den Landesfürsten schloss. Als Text hatte der verehrte Redner den Vers 'Ich freue mich mit denen, die zu mir sprechen: Ins Haus des Ewigen lasset uns gehen...' (Psalm 122,1) zu Grunde gelegt. Mit dem Absingen des Psalmes 150 endete die Einweihungsfeier, die einen erhebenden Eindruck bei allen Anwesenden hervorbrachte. Es war eine wirklich gelungene Feier, was wir in erster Linie den großartigen rhetorischen Leistungen unseres verehrten Herrn Rabbiners, sowie den gesanglichen unseres sehr verdienten Kantors, Herrn Klein mit dem von ihm geleiteten Chor zu danken haben. Samstag wurde der Frühgottesdienst ebenfalls durch feierliche Chorgesänge und Predigt festlich gestaltet. Nachmittags fanden sich die Gemeindemitglieder und zahlreiche Gäste zu geselliger Unterhaltung auf Textors Terrasse und nach Sabbat-Ausgang zu einer Abendunterhaltung im Hotel Großherzog von Hessen zusammen. - Sonntag Nachmittag 1 1/2 Uhr fand ein Festbankett statt, bei dem Herr Vorstand Grünewald die Erschienenen mit herzlichen Worten begrüßte. Der Herr Provinzial-Rabbiner brachte einen mit großer Begeisterung aufgenommenen Toast auf Seine Königliche Hoheit den Großherzog aus, Herr Versicherungs-Inspektor Fröhlich auf das Ehrenmitglied der Religions-Gesellschaft, Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn in Fulda, Herr Austerlitz, der des verstorbenen Mitbegründers der   
Giessen Israelit 27071899bs.jpg (146234 Byte)Religionsgesellschaft, Herrn Markus gedachte, auf die derzeitigen Vorstände, Herr Vorstandsmitglied Rosenbaum auf Herrn Provinzial-Rabbiner Dr. Hirschfeld und alle die, welche sich um den Bau Verdienste erworben haben. Dann ergriff Herr Vorstand Grünewald nochmals das Wort, um Herrn Kantor Klein für seine großen Verdienste und vielen Bemühungen im Interesse der Religionsgesellschaft zu danken. Es brachte dann noch Herr Cleve einen Toast auf die Damen aus; Herr cand. phil. Bamberger rief der Religionsgesellschaft ein herzliches Masel tow zu und leerte sein Glas auf die glückliche Erhaltung der neuen Synagoge in und durch Tora und Gottesdienst; Herr cand. phil. B. Hamburger regte in seinem Toast Pflege der Tora innerhalb der Religionsgesellschaft durch eine Chewra (Verein) an, was begeisterte Aufnahme fand und mit Gottes Hilfe auch verwirklicht werden wird. Herr cand. Epstein brachte seine Wünsche im klassischen Hebräisch zum Ausdruck. Nachdem mit dem Tischgebet die herrliche Versammlung gemäß dem göttlichen Gebot beendet war, verrichtete man gemeinschaftlich das Mincha-Gebet und trennte sich in fröhlicher Festesstimmung gegen 6 1/2 Uhr, um sich um 8 Uhr zu einem Vergnügungsabend wieder zusammen zu finden. Die von Herrn Kantor Klein für diesen Abend mit einer Anzahl von ehemaligen und jetzigen Schülern und Schülerinnen unserer Religionsschule eingeübten Theaterstücke, sowie die vorgeführten lebenden Bilder, fanden alle reichlichen, wohlverdienten Beifall. Die Gemeinde brachte ihm ihren Dank durch Überreichung eines wertvollen Pokals zum Ausdruck. Erst in den frühen Morgenstunden verließen die Festteilnehmer den Saal, in dem man so herrliche Stunden erlebt hatte. Unserer Religionsgesellschaft aber rufen wir zu: sei stark und mutig! Möge es ihr auch weiter gelingen, mit Gottes Hilfe unter der Leitung unseres verehrten Herrn Rabbiners - sein Licht leuchte - sich immer weiter zu entfalten, und wirklich jüdisches Leben sich immer mehr und mehr entwickeln sowohl hier als in unserer Provinz."   

Die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft verfügte über etwa 200 Sitzplätze sowie über ein rituelles Bad.   
    
    
Die Zerstörung der beiden Synagogen 1938    
    
Beim Novemberpogrom 1938 wurden die beiden Synagogen in der Südanlage und in der Steinstraße durch SA-Männer demoliert, geplündert und angezündet. Die anwesende Feuerwehr musste sich auf den Schutz der Nachbarhäuser beschränken. Wenige Tage nach dem Brand ließ die Stadtverwaltung (die Synagogenruine in der Südanlage am 16. November 1938) die Brandruinen sprengen und den Schutt abfahren, an dem zahlreiche Gießener für Auffüllarbeiten Interesse hatten. Innerhalb von einer Woche waren die Ruinen der Synagogen beseitigt.  
   
Für beide zerstörte Synagogen gibt es Gedenktafeln (eine Tafel vor der Kongresshalle am Berliner Platz / Südanlage; die zweite in der Steinstraße 8). Die Inschrift der Gedenktafel vor der Kongresshalle lautet: "In memoriam. 1867-1938 stand an dieser Stelle die ältere der beiden Synagogen der Jüdischen Gemeinde unserer Stadt. Beide Gotteshäuser wurden am 10.11.1938 von Nationalsozialisten niedergebrannt".    
    
    
Adressen/Standorte der Synagoge     
        
    alte Synagoge vor 1867: ehemalige Zozelsgasse 9, jetzt Dammstraße 11   
    neue Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde 1867 bis 1938: Südanlage 2 (ehem. Hindenburgwall)   
    neue Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft 1899 bis 1938: Steinstraße 8, Nordanlage   
       
       
       
Fotos
(Quelle: sw-Fotos des alten Synagogengebäudes: Altaras S. 116; historische Aufnahmen der Synagogen 1867 / 1899: Arnsberg Bilder S. )  

Die alte Synagoge (bis 1865/67) Giessen Synagoge a120.jpg (47447 Byte)  
  Blick in die frühere Zozelsgasse um 1900,
 links in der Bildmitte die ehemalige Synagoge
  
   
Giessen Synagoge a121.jpg (68606 Byte) Giessen Synagoge a122.jpg (71105 Byte) Giessen Synagoge a123.jpg (86646 Byte)
Südwestliche Seite der ehemaligen 
Synagoge (Aufnahme vom Juli 1987)
Blick auf das Gebäude der ehemaligen
 Synagoge von der Dammstraße aus gesehen
Die nordöstliche Seite mit den 
teilweise massiven Außenwänden
     
Die (liberale) Synagoge 
in der Südanlage
Giessen Synagoge a150.jpg (92007 Byte)   
   Die 1867 eingeweihte Synagoge 
wurde 1938 zerstört 
  
     
Die (orthodoxe) Synagoge 
in der Steinstraße
Giessen Synagoge ao150.jpg (80021 Byte)   
    Die 1899 eingeweihte Synagoge 
wurde 1938 zerstört
  
       
Fotos der Gedenktafeln werden noch ergänzt.  

    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte:   

Februar 2009: Erneute Verlegung von Stolpersteinen - ausführlich siehe www.stolpersteine-giessen.de 
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 13. Februar 2009 (Artikel): Lebensgefährlicher Einsatz für das Vaterland zählte nicht mehr. 
Studienrat Dr. Siegfried Kann und seine Familie "wurden ausgelöscht" - In der Liebigstraße 37 "gelebt und integriert" - Freiwilliger im Ersten Weltkrieg
GIESSEN (hh). An seinem letzten Schultag trug er einen schwarzen Anzug. Und das Eiserne Kreuz 1. Klasse deutlich sichtbar am Revers. Denn Dr. Siegfried Kann war für seine Tapferkeit im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet worden. Das aber war keineswegs seine einzige Erinnerung an die Kämpfe, zu denen er sich "aufgrund seiner patriotischen Gesinnung" freiwillig gemeldet hatte...".   
   
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 14. Februar 2009 (Artikel): "'Automatisch eine Verbeugung' vor den NS-Opfern. Kölner Künstler Gunter Demnig verlegt weitere elf "Stolpersteine" in der Innenstadt - Schüler der Liebigschule rezitieren Gedicht - Moment des Innehaltens...".  
    
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 4. Juli 2009 (Artikel):  
Ganze Arbeit geleistet gegen das Vergessen - "Stolperstein"-Projekt zur 72-Stunden-Aktion vorgestellt...   
GIESSEN
(juf). Im Rahmen der deutschlandweiten Aktion der Katholischen Jugend "72-Stunden - Uns schickt der Himmel" vom 7. bis 10. Mai sind viele Projekte entstanden. Auch in Gießen haben Jugendliche ganze Arbeit geleistet. So hat die Gruppe "Bonibertus", bestehend aus zwölf Jugendlichen der Gemeinden St. Albertus und Bonifatius, die Aufgabe erhalten, einen Film über die Gießener "Stolpersteine" zu drehen..."  
  
Oktober 2009: dritte Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen    
Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 22. Oktober 2009 (Artikel): Emotion statt Routine: Stolpersteine zum dritten Mal verlegt
Gießen
(mö). Gunter Demnig ist ein schneller und stiller Arbeiter. Nach weniger als zwei Minuten sind die zwei mit einer Messingplatte versehenen Pflastersteine eingepasst. Demnig wäscht den feinen Kies mit Wasser von dem goldglänzenden Metall ab, dann legt jemand ein Rosensträußchen daneben, von der anderen Seite wird ein Teelicht dazugestellt. Dieses Prozedere wiederholt sich gestern Morgen an insgesamt zehn Stellen in Gießen und Wieseck. Zur Routineangelegenheit wird die dritte Verlegung von 'Stolpersteinen' zur Erinnerung an Opfer des Holocaust aber nicht. Wer dabei ist, erlebt Momente stummer Emotion..."     
   
Februar 2010: Vortrag über "Schüler-Schicksale in der NS-Zeit"   
Artikel (kjf) im "Gießener Anzeiger" vom 26. Februar 2010 (Artikel): "Schüler-Schicksale in der Nazi-Zeit 
GIESSEN. "Operation Ludwig": LLG-Lehrer Weckemann berichtet. 

(kjf). Gunter Weckemann, Lehrer am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium (LLG), berichtete im Café Türmchen einer Gruppe von Schülern und Kollegen vom Umgang der traditionsreichen Gießener Schule mit dem staatlich befohlenen Antisemitismus in den Jahren 1933 bis 1945...". 
   
September 2010: Vierte Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen    
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 2. September 2010 (Artikel): 
"Fast 100 Stolpersteine für Gießener Nazi-Opfer
Gießen (pd). Am kommenden Mittwoch kommt es zur vierten Verlegung von Stolpersteinen in Gießen, mit denen an die Opfer der Nazi-Herrschaft erinnert wird...."   
    
Bericht über die vierte Verlegung der "Stolpersteine" im "Gießener Anzeiger" (fod) vom 9. September 2010 eingestellt als pdf-Datei.     
  
September 2011: Neue Gedenktafel für Gießener Synagogen     
'Wir haben eine historische Verantwortung' –Gedenktafel für Gießener Synagogen eingeweiht    Dieser Artikel ist auch als pdf-Datei eingestellt
  
November 2011: Gedenken an Reichspogromnacht     
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 10. November 2011: "Gedenken an Reichspogromnacht. 
Gießen
(kw). 'Wir verneigen uns vor den Opfern, wissend um die Verantwortung für das 'Nie wieder''. Mit diesen Worten beschloss Oberbürgermeisterin Dietling Grabe-Bolz am Mittwochabend die Reden bei der Gedenkstunde zur Reichspogromnacht...." 
Link zum Artikel      
 
August 2013: Fünfte Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen  
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 27. August 2013: "'Sie waren unsere Nachbarn'
Gießen (mö). 'An einem heißen Sommertag im Juni 1943 mussten wir nach Idstein. Meine Schwester war die erste Leiche, die ich in meinem Leben gesehen habe. Da lag sie, mit ihren blauen, starren und gebrochenen Augen. Das war ein traumatisches Erlebnis für mich.' Diese Worte von Helmut Balser waren gestern Vormittag der bewegende Höhepunkt beim Auftakt der fünften Verlegung von Stolpersteinen in Gießen. In der Friedensstraße gedachten rund 50 Menschen den Euthanasieopfern Ursula Balser und Lotte Herrnbrodt..."
Link zum Artikel  
Anmerkung: bei der fünften Verlegeaktion wurden insgesamt 31 Stolpersteine verlegt.  Weitere bei www.stolpersteine-giessen.de       
 
November 2014: Gedenken an Reichspogromnacht  
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 10. November 2014: "Als auch in Gießen die Synagogen brannten
Gießen
(csk). Die Stadt, die jüdische Gemeinde und die christliche Kirchen haben am Gedenkstein vor der Kongresshalle der Pogromnacht vor 76 Jahren gedacht..." 
Link zum Artikel      
 
Januar / Juli 2016: In Heuchelheim werden "Stolpersteine" verlegt   
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 5. Januar 2016: "Jeder Stein ein Schicksal
Heuchelheim (so). Der Künstler Gunter Demnig wird am 9. Juli dieses Jahres in Heuchelheim Stolpersteine verlegen in Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus am unteren Bieberbach.
In der Weihnachtswoche hat die 'Stiftung Stolpersteine' in Köln diesen Termin bestätigt für das Verlegen von zwölf Steinen an fünf Stellen in der Wilhelmstraße und in der Kinzenbacher Straße, der Bachstraße und der Gießener Straße. Erwartet werden zu diesem Anlass aus Israel auch Angehörige der Familie Süßkind. Das teilte Pfarrerin Cornelia Weber von der Martinsgemeinde auf Anfrage mit. Mitgliedern ihrer Kirchengemeinde, aber eben auch ihr persönlich war und ist das Erinnern ein besonderes Anliegen..." 
Link zum Artikel     
 
März 2016: Sechste Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen   
Anmerkung: am 23. März 2016 fand eine sechste Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen statt. Es wurden 19 Gedenksteine an sechs Adressen in der Innenstadt verlegt, drei davon, die an Sinti erinnern, die in Auschwitz ermordet wurden. Für jüdische Einwohner wurden Gedenksteine verlegt zur Erinnerung an Gustav Gutenstein, Helene Gutenstein geb. Nussbaum, Heinz Gutenstein und Berta Nussbaum (Plockstraße 12/14), an Henriette Homberger geb. Grünebaum (Plockstraße 11), Louis Katz und Anna Katz sowie Sally Katz und Paula Katz (Bahnhofstraße 14), Betty Stern, Ludwig Stern (Bahnhofstraße), Moritz Rosenbaum, Ludwig Rosenbaum, Irma Rosenbaum, Tochter  Irma Rosenbaum, Reneé Rosenbaum (Kirchenplatz).   
Artikel von Heidrun Helwig im "Gießener Anzeiger" vom 20. Februar 2016: "Diskriminiert, entrechtet und ermordet..."   
Link zum Artikel     
Diskriminiert, entrechtet und ermordet (Gießener Anzeiger, 20.02.2016)    
 
Juni 2016: Auch in Heuchelheim werden "Stolpersteine" verlegt 
Artikel von Ines Jachmann im "Gießener Anzeiger" vom 4. Juni 2016: "Alles fing mit einer roten Farbspur an.
HEUCHELHEIM - Wettenberg hat sie, Buseck, Hungen, Lollar, Pohlheim, Staufenberg auch. Selbst in Gießen findet man sie. Und bald in Heuchelheim. Die Stolpersteine... 

Erster Antrag von 2009. Im Juni 2009 hatte die evangelische Kirchengemeinde in Heuchelheim und Kinzenbach gemeinsam mit der katholischen Gemeinde Maria Frieden bei der Gemeinde einen Antrag gestellt, Stolpersteine für die ehemaligen jüdischen Mitbürger zu verlegen, die während des Zweiten Weltkrieges von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Doch rechnete man zunächst nicht mit dem Widerstand der Anwohner. Viele hatten Vorbehalte, die Steine direkt vor ihrer Haustür zu haben. Da nützte es wenig, dass der damalige Bürgermeister Helmut Fricke gemeinsam mit Pfarrerin Cornelia Weber mit den betroffenen Hauseigentümern sprach. Argumente, dass beispielsweise ein Haus an Wert verlieren könne, oder man eventuell schief angesehen werde, kamen auf. Sie zeigen, wie schwer es einigen heute noch fällt, mit der düsteren Vergangenheit des Dritten Reiches umzugehen. Die Ängste sitzen tief und kommen auch nach mehr als 71 Jahren noch hoch.
Im März 2015 wurde ein erneuter Anlauf unternommen, doch noch die Stolpersteine in Heuchelheim zu verlegen. Zusammen mit der neu gegründeten Stolperstein-Initiative Heuchelheim-Kinzenbach wurde der Antrag erweitert. Nun sollten auch die aus dem Ort stammenden Opfer des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms miteinbezogen werden. Dank der Initiative vieler, insbesondere auch der Grünen, entschloss sich die Gemeinde im Juli für die Steine. 15 Menschen aus Heuchelheim und Kinzenbach waren seitdem damit beschäftigt, Lebensdaten von Opfern zu recherchieren. Sie haben in mühevoller Kleinarbeit Erinnerungen zusammen getragen, Spenden gesammelt. Man musste viel argumentieren und so manches Mal einen langen Atem beweisen. Anträge wurden formuliert und die Verlegung vorbereitet. Die Vorarbeiten sind nun abgeschlossen. 'Es gab kaum Probleme', erzählt Günter Kröck, der dem Team angehört. 'Pfarrerin Weber hat im Wesentlichen die Recherchearbeit erledigt.' Das Ergebnis sind zwölf Stolpersteine. Drei werden in der Bachstraße 23 an Ludwig, Irene und Herbert Schönberg erinnern, drei in der Kinzenbacher Straße 3 an Sally, Jenny und Karl Süßkind, vier Steine in der Gießener Straße 73 an Meier Irene, Hedwig und Paula Süßkind, sowie einer in der Wilhelmstraße 37 an Franz Hofmann und der Hausnummer 43 an Irmgard Gernandt. Gunter Demnig wird sie am Samstag, 9. Juli, selbst verlegen. Beginn ist um 9 Uhr in der Bachstraße 23. Mitglieder der Initiative werden aus dem Leben der Menschen erzählen und Bilder zeigen. Auch Musik ist vorgesehen.
Für viele haben die Stolpersteine eine große Bedeutung, geben sie doch einer Zeit ein Gesicht, die in manchem Bewusstsein schon im Bereich der Märchen und Sagen angesiedelt sei, meint Kröck. 'Ich halte die Aktion für wichtig, weil sie dafür sorgt, dass das Geschehene nicht in Vergessenheit gerät. Ich kann meinen Enkel an die Hand nehmen, beim Gang durch den Ort mit ihm vor den Steinen stehen bleiben und ihm vom Schicksal dieser Menschen erzählen, die damals mitten unter uns lebten.'
'Brücken sein'. Pfarrerin Petra Schramm betont: 'Stolpersteine lehren uns, vorsichtig und umsichtig auf unserem Weg zu gehen und nicht mit hartem Schritt, der alles niedertritt, zu trampeln. Stolpersteine wollen nicht lähmen und auch nicht aufwiegeln. Sie wollen Brücken sein zwischen unversöhnlichen Menschen. Behutsam verlangsamen sie unseren Schritt, weisen ihm eine neue Richtung. Sie sind kein Stein des Anstosses und Ärgernisses, sondern dienen der Erinnerung daran, was Menschen einander antun können.'"
Link zum Artikel   
 
November 2017: Weitere Verlegung von "Stolpersteinen" in Gießen 
Anmerkung: Es wurden Stolpersteine" verlegt für Familie Abraham in der Neustadt 31 sowie für Helene Adler mit ihren Töchtern Margot und Hannelore in der Nordanlage; weiter wurde in Erinnerung an Ferdinand Klein erstmals in Gießen auch ein Stolperstein für einen Angehörigen der Jenischen in der Mühlstraße verlegt.  
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 12. November 2017: "Zahl der Stolpersteine in Gießen wächst auf 154. 
In Gießen erinnern bereits 146 Stolpersteine an 53 Verlegestellen an Opfer der NS-Zeit: Juden, T4-Opfer, Sinti, Opfer der NS-Justiz, überlebende Angehörige. Nun kommen acht weitere Stolpersteine an drei Verlegestellen dazu. Am Mittwoch, 15. November, werden diese Mahnsteine durch den Künstler Gunter Demnig verlegt. Treffpunkt ist vor der Albertuskirche in der Nordanlage um 9.45 Uhr. Eine Besonderheit ist, dass es diesmal drei Vorschläge durch Nachfahren bzw. Angehörige der Opfer gab, die zum Teil auch an der Verlegung teilnehmen werden. Hildegard Abraham aus London möchte an die Familie ihres verstorbenen Mannes erinnern, die Opfer in drei Generationen zu beklagen hat. Marc Lefitz aus Kalifornien, dessen Mutter selbst als Kind durch einen Transport via Schweiz gerettet wurde, wünschte sich Stolpersteine für seine Großmutter und seine Tante. Ottilie Steller aus Gießen gedenkt an ihren Vater Ferdinand Klein. Die Familie ist den Jenischen zuzuordnen, erstmals gibt es nun in Gießen einen Stolperstein für diese Opfergruppe. 
Jede Verlegung kostet Geld. Der Spendenstand sei zwar sehr erfreulich, sagt Sprecherin Monika Graulich, allerdings seien jederzeit Spenden willkommen. Ein Stolperstein kostet jeweils 120 Euro. Wer die nächste Verlegung (auch mit einem kleineren Betrag) unterstützen möchte, kann seine Spende auf das Konto der Evangelischen Lukasgemeinde, Nr. 200 713 418 bei der Sparkasse Gießen (BLZ: 513 500 25) mit dem Verwendungszweck 'Projekt Stolpersteine' überweisen.
Link zum Artikel   
   
- Artikel von Katharina Ganz in der "Alsfelder Allgemeinen" vom 16. November 2017: "STOLPERSTEINE VERLEGT. Erinnerung und Mahnmal
Am Mittwoch sind acht neue Stolpersteine in Gießen verlegt worden. Erstmals haben Nachkommen der Opfer Vorschläge gemacht – Hildegard Abraham kam extra aus London.

Hildegard Abraham ist aus einem traurigen Grund nach Gießen gekommen. Die Familie ihres Mannes Henry wurde im Zweiten Weltkrieg vom nationalsozialistischen Regime aus der Stadt vertrieben. Der Cousin ihres Mannes, dessen Eltern und seine Großmutter wurden von den Nazis getötet. Um an sie zu erinnern, hat Abraham veranlasst, dass am Mittwoch vier Stolpersteine verlegt wurden. Dafür ist sie extra aus London angereist.
Vater wurde immer böse. 'Ich bin davon ganz begeistert', hält Abraham fest. Die Erinnerung wach zu halten liegt ihr am Herzen. Ihr Mann Henry war Sozialpsychologe und 'ihn trieb um, warum in Deutschland passieren konnte, was passiert ist', erzählt die Frau. Wenn sie und ihr Mann ihren Schwiegervater nach der Familie befragten, sei er immer böse geworden. Er wollte nicht darüber reden. 'Später sah ich in Berlin einen Stolperstein für meine Schwiegermutter und fand es schade, dass es so etwas für die Abrahams nicht gibt', erklärt die Seniorin. Dann fing sie an zu recherchieren. Der Internationale Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen verwies sie an mehrere Stellen, ehe sie beim Landeswohlfahrtsverband Hessen fündig wurde.
Geschichten verlesen. In der Neustadt 31 hat sich eine Gruppe Menschen um die von Künstler Gunter Demnig verlegten Steine versammelt, um die Geschichten der Familienmitglieder zu hören. Ursula Schroeter von der Koordinierungsgruppe Stolpersteine Gießen verliest die Ergebnisse der Recherchen: Ein Stolperstein wurde für die am 19. Januar 1862 geborene Fanny Abraham (geb. Ochs) gelegt. Sie zog 1913 von Ehringshausen nach Gießen. Zuerst wohnte sie in der Steinstraße, später zog sie zu ihrem ältesten Sohn in der Neustadt 61 (heute Neustadt 31). Mit ihrem wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Mann, Süßmann Abraham, hatte sie drei Söhne: Adolf, Karl und Siegfried. Ab dem 20. Februar 1939 war Fanny in Bad Nauheim gemeldet. Von dort wurde sie am 27. September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sie starb am 16. Januar 1943, drei Tage vor ihrem 81. Geburtstag.
Seit dem 18. Jahrhundert ansässig. Ein zweiter Stein wurde für Adolf gelegt. Der Onkel des Ehemannes von Hildegard Abraham war Soldat im Ersten Weltkrieg. Aufgrund einer Kriegsverletzung litt er an Epilepsie. Im August 1920 heiratete er die Wieseckerin Clementine Meyer, die mütterlicherseits aus der großen Familie Stern stammte, die in Gießen seit Ende des 18. Jahrhunderts ansässig war. Gemeinsam führten Adolf und Clementine ein Geschäft im Erdgeschoss ihres Hauses in der Neustadt. Am 26. September 1921 kam der einzige Sohn Siegbert zur Welt. Auch für ihn und seine Mutter legte Künstler Demnig am Mittwoch einen Stolperstein. Im Oktober 1938 mussten die Abrahams ihr Geschäft auf nationalsozialistischen Druck hin aufgeben und das Haus verlassen. Sie wurden – wie viele andere Juden – in ein ehemaliges Altersheim in der Walltorstraße 48 eingewiesen.
Zwei Brüder konnten fliehen. Adolfs Hirnverletzung war ein Grund für die Nazis, ihn am 16. März 1940 in das 'Hospital Goddelau' einzuweisen. Die psychiatrische Klinik leitete ihn in die Tötungsanstalt Hadamar weiter, in der er am 4. Februar 1941 ermordet wurde. Seine Frau Clementine und Sohn Siegbert wurden am 16. September 1942 über Darmstadt nach Polen deportiert. Ihre Todesdaten sind nicht bekannt. Adolfs Brüder Karl und Siegfried konnten fliehen. Hildegard Abraham, die Siegfrieds Sohn später heiratete, legte für jedes Opfer eine Rose ab und zündete eine Kerze an." 
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Vgl. Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 14. November 2017: "Erstmals 'Stolperstein' in Gießen für Jenischen..."   
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Mai 2019: Schülerinnen und Schüler übernehmen Putzpatenschaften für "Stolpersteine"   
Artikel von Felix Pflüger in "mittelhessen.de" vom 26. Mai 2019: "Francke-Schüler übernehmen Patenschaft für Stolpersteine in Gießen
Mit Politur und Putzlappen rücken Neuntklässler der August-Hermann-Francke-Schule dem Vergessen zu Leibe: Sie haben - wie andere Schulen auch - Patenschaften zur Pflege der "Stolpersteine" übernommen.
GIESSEN -
Stolpersteine sind wohl die präsenteste Erinnerung an die schrecklichen Verbrechen der NS-Zeit in Deutschland. Die pflastersteingroßen Messingkunstwerke des Künstlers Gunter Demnig rufen in vielen deutschen Innenstädten 'auf Schritt und Tritt' die Schicksale von im Dritten Reich deportierten Menschen ins Gedächtnis - auch in Gießen insgesamt über 150 Mal. Hier hatte die Stolperstein-Koordinierungsgruppe nun eine gute Idee, wie man die Mahnmale immer in Glanz halten kann. 'Durch Patenschaften verpflichten sich Schüler und junge Leute zur Pflege und alljährlichen Reinigung der Steine', so Angelika Nailor, Geschäftsführerin des Vereins 'Ehrenamt Gießen'. Sie stellte den Kontakt zwischen Pfarrer Klaus Weißgerber aus der Koordinierungsgruppe und mehreren Schulen und Gemeinden her, unter anderem mit der August-Hermann-Francke-Schule. Deren Schüler der Klasse 9a kamen das erste Mal in einer Vertretungsstunde mit der Idee in Kontakt, eine Patenschaft zu übernehmen. 'Viele in der Klasse haben über den Vorschlag gelacht und sich über die Verbrechen der Nazi-Zeit lustig gemacht. Das hat mich angespornt, mitzumachen', so Julia Horn. Sie ist eine von fünf Schülerinnen und Schülern, die zum ersten Arbeitseinsatz in der Stephanstraße 28 mit Putzlappen und Politur ausgerückt sind. Dort liegen sieben Stolpersteine für Familie Jakob, die in diesem Wohnhaus ihren letzten bekannten freiwilligen Wohnsitz hatte. Erwähnt ist auf den Steinen der Name der deportierten Person, sowie ihr Geburts- und Sterbedatum, soweit dieses bekannt ist. Vermerkt ist außerdem das Ziel der Deportation. Im Geschichtsunterricht gelang es den insgesamt 20 Paten im Voraus Teile der Schicksale zu rekonstruieren und sie während der ersten Reinigungsaktion gemeinsam mit Stufenleiter Stefan Ulbrich zu präsentieren. 'Zwei der Familienmitglieder konnten fliehen, die anderen fünf wurden im Vernichtungslager Treblinka ermordet', weiß Joy-Lina Schneider zu berichten. Über das Lager, über die Stolpersteinaktion an sich, sowie über die einzelnen Schicksale der Familienmitglieder fertigten die Schüler gemeinsam ein Plakat an, das zukünftig auch in der Schule ausgehängt wird. 'Ich war bereits mit einem Freund im KZ Buchenwald und habe gesehen, wie es wirklich war. So können wir auch noch andere Leute über die Gräueltaten informieren', meint Pate Renatus Quiring. Er und seine Klassenkameraden würden nun, bis sie die Schule verlassen, einmal jährlich die ihnen zugeteilten Steine reinigen. 'Das ist eine gute Gelegenheit, sich zu engagieren und ein Zeichen zu setzen', findet Dunja Kreienhop. Dem schließt sich auch ihre Mitschülerin Jessye Matejec an: 'Die Steine sind so klein, und doch hat es so eine große Bedeutung, sie zu pflegen.'
Seit 2008 managt die Koordinierungsgruppe Stolpersteine die Verlegung und Finanzierung in der Stadt. 'Wir übernehmen den Kontakt mit Herrn Demnig sowie die Recherche der einzelnen Schicksale. Die Stadt unterstützt uns mit den tiefbaulichen Arbeiten', so Stadträtin und Gruppenmitglied Monika Graulich. In den nächsten Jahren würden wieder über 15 Verlegungen anstehen, die Finanzierung von 120 Euro pro Stein müsse allerdings erst durch Spenden gesichert werden. 'Wir freuen uns über jeden noch so kleinen Beitrag gegen das Vergessen', ergänzt Weißgerber. Die Spendenadresse findet man auf der Homepage der Koordinierungsgruppe www.stolpersteine-giessen.de." 
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Vgl. Artikel von Karen Werner in der "Gießener Allgemeinen" vom 24. Mai 2019: "Gedenken an NS-Opfer wachhalten. Gießener Jugendliche übernehmen Patenschaften für die 'Stolpersteine'."  
Link zum Artikel  https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/gedenken-ns-opfer-wachhalten-12314883.html 
 
August 2019: Fortbildung für pädagogische Kräfte der August-Hermann-Francke-Schule zu den "Stolpersteinen" in Gießen  
Artikel in der "Gießener Zeitung" vom 19. August 2019: "Francke-Lehrer auf der Spur verfolgter Mitbürger - Fortbildung zu Stolpersteinen im Gießener Stadtbereich
Gießen. Vor dem ehemaligen Fröbelseminar war die erste Station von Lehrkräften der August-Hermann-Francke-Schule, die sich über Stolpersteine in Gießen informieren wollten. Da, wo die Pädagogin Hedwig Burgheim gewohnt und gelehrt hatte, begann für ein Dutzend Lehrerinnen und Lehrer die Exkursion im Gießener Stadtbereich. In Monika Graulich hatte die Gruppe eine kundige Referentin für ihre Fortbildung gefunden, denn die Stadträtin ist seit Jahren aktiv im Verein 'Gegen Vergessen – für Demokratie' und in der örtlichen Stolperstein-Koordinierungsgruppe. An ausgewählten Orten berichtete Graulich nicht nur über Umstände der Verlegung von Stolpersteinen und den Künstler Gunter Demnig, welcher die Gedenkplatten aus Messing gestaltet, sondern auch über die Biografie einer jeden Person, an die erinnert werden soll. Darunter waren jüdische Einzelpersonen und Familien sowie ein Opfer der Aktion T4 (Ermordung von Psychiatrie-Patienten).
Für die Francke-Lehrer war der Termin sowohl eine Ergänzung zu sonstigen Fortbildungen für die Schulfächer Geschichte oder Religion als auch ein besonderes Anliegen: Die Schule hatte im Mai eine Patenschaft für Stolpersteine übernommen und bei einem ersten Putztermin hatten sich Jugendliche der Klasse 9a darum gekümmert, dass in bestimmten Straßenzügen die dort verlegten Messingplatten vor dem Verdunkeln bewahrt werden und weiterhin gut sichtbar bleiben. Die Spurensuche der Lehrkräfte vor Ort diente auch dazu, dass im Unterricht dieser lokale Bezug zu einem insgesamt wichtigen Thema kompetent vermittelt werden kann."  
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August 2019: Besuch von Nachkommen der Familie Süßkind in Heuchelheim - Suche nach jüdischen Erinnerungsgegenständen für das Museum   
Artikel von Rüdiger Soßdorf im "Gießener Anzeiger" vom 12. August 2019: "Stolpersteine sind keine Schlusssteine
Heuchelheim (so)
. Nicht rückwärtsgewandt, sondern mit Blick nach vorn wolle man einander begegnen. Das versprachen sich Mitglieder der Familie Süßkind und Heuchelheimer Bürger bei ihren ersten Begegnungen vor drei Jahren. Ganz so, wie es Dr. Karl Süßkind und sein Freund, der frühere Heuchelheimer Bürgermeister Otto Bepler, für die Nachfahren gewünscht hatten. Die Zusage trägt: Im Juli weilten Gidon und Nava Süßkind aus Herzlia/Israel einmal mehr am unteren Bieberbach. Mit ihnen waren rund 20 weitere Angehörige der Familie nach Deutschland gekommen. Kinder und Enkel sind dabei, die Urenkel von Karl Süßkind, der mit seiner Frau Traudel vor bald 80 Jahren auf der Flucht vor den Nazis seine Heuchelheimer Heimat gen Israel verließ. Gerade die Begegnungen dieser Nachgeborenen mit Gleichaltrigen macht Mut, lässt optimistisch nach vorn blicken.
Weiterer Anlass der neuerlichen Deutschland-Visite: Das Verlegen von Stolpersteinen durch den Künstler Gunter Demnig in Bebra, der Heimatstadt von Karl Süßkinds Frau. Da wurde noch einmal thematisiert, was man einander bereits in Heuchelheim versprach, als im Juni 2016 Stolpersteine für Süßkinds verlegt wurden: "Stolpersteine sind keine Schlusssteine." Ganz im Gegenteil sollen sie Denk-Prozesse anstoßen. Zudem wird ein weiterer Ansatz verfolgt, um Diskussionen anzuregen: Im Heuchelheimer Heimatmuseum im einstigen Kinzenbacher Bahnhof sollen Spuren einstigen jüdischen Lebens in Heuchelheim dokumentiert werden. Das haben Gidon Süßkind und Gerhard Kreiling, der Vorsitzende des Arbeitskreises Heimatmuseum im Kulturring, verabredet. Gesucht werden nicht nur Dokumente und Fotos, sondern darüber hinaus weitere Gegenstände, die an die Heuchelheimer jüdischen Glaubens erinnern. Jüdisches Leben gehört für mehr als 200 Jahre zur Heuchelheimer Geschichte, sagt Gerhard Kreiling. Wie hilfreich diese Arbeit sein kann, um Diskussionen anzustoßen und eine Kultur der Auseinandersetzung zu bereichern, die sich aus der Vergangenheit speist, aber bis heute ungebrochen aktuell ist, das hat sich anderorts durchaus gezeigt: So ist Kreiling im Austausch mit Dr. Heinrich Nuhn aus Rotenburg/Fulda. Nuhn hat dort eine solche Arbeit bereits geleistet. Wer zur geplanten Sammlung in Heuchelheim etwas beisteuern kann, ist gebeten, sich an Gerhard Kreiling zu wenden: heimatmuseum@gakreiling.de."
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Februar/Mai 2020: Stolpersteine sind online einsehbar - im Mai wird der 155. Stolperstein in Gießen verlegt  
Artikel von "paz" im "Gießener Anzeiger" vom 8. Februar 2020: "Stolpersteine online 'besuchen'.
GIESSEN
- Stolpersteine sind kleine, quadratische, in den Gehweg eingelassene Gedenktafeln aus Messing. Sie erinnern an das Schicksal von Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, deportiert oder ermordet wurden. 154 von insgesamt 75 000 Steinen sind seit 2008 von dem Künstler Gunter Demnig im Gießener Stadtgebiet verlegt worden. Darauf ist jedoch nur Platz für den Namen der Personen, ihre Lebensdaten und ihren Deportationsort. Wer mehr über das Leben der Holocaustopfer erfahren möchte, braucht ab sofort nur auf die Internetseite der Stadt zu schauen. Unter www.giessen.de stößt man unter der Rubrik 'Erleben' sofort auf die Seite der Koordinierungsgruppe Stolpersteine. Alternativ kann auch der Suchbegriff 'Stolpersteine' eingegeben werden. Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis die Version online gehen konnte. Während Jens Haub von der Internetredaktion der Stadt sich um die technische Abwicklung gekümmert hat, haben Christel Buseck, Ursula Schroeter, Monika Graulich und Pfarrer Klaus Weißgerber in 'wertvoller, aber mühseliger Arbeit' Informationen zusammengetragen. Dabei wurden alle Opfergruppen berücksichtigt. Geordnet sind die Steine nach dem letzten frei gewählten Wohnsitz. Gibt man beispielsweise 'A' ein, erhält man Infos über die Stolpersteine in der Alicenstraße, im Alten Wetzlarer Weg oder Am Backhaus. 56 Straßen mit Stolpersteinen sind bisher im Raum Gießen zu finden. Eine freie Suche ermöglicht die Recherche nach Familiennamen wie Rosenthal oder Herz. Nicht alle Texte sind gleich lang, erklärt Monika Graulich. 'Über einige Familien hat man eben mehr Informationen aufgespürt als über andere.' Paten und Zeitungen stellten Fotos der Verstorbenen zur Verfügung. Die bestehende Seite 'Stolpersteine Kreis Gießen' soll abgeschaltet werden. Die dort bereits vorhandenen Informationen wurden nochmals gesichtet, erweitert und aufbereitet. 'Die Seite war in der Vergangenheit nicht kontinuierlich gepflegt worden. Wir sind dankbar, dass die Stadt Gießen sich jetzt um alles kümmert', freut sich Klaus Weißgerber. 'Mit unseren ehrenamtlichen Recherchen werden wir fortfahren', ergänzt Christel Buseck. Transportlisten der Züge würden in der Regel Auskunft über die Deportationsorte jüdischer Bürger geben, Ausnahme sind die Züge nach Treblinka. Hier laute dann der Eintrag 'ermordet im besetzten Polen'. Schwieriger sei es beispielsweise, die Spuren von Sinti und Roma zu verfolgen. 'Da sind wir oftmals auf die Hilfe von Angehörigen angewiesen.' Auch eine genaue Hausnummer zuzuordnen, gestalte sich in manchen Fällen schwierig. Vor allem wenn es diese Nummer nicht mehr gibt. Auch in einem digitalen Stadtplan lässt sich nach den Stolpersteinen suchen. Alle Inhalte passen sich auch an Mobiltelefone an. Finanziert werden die Stolpersteine ausschließlich über Patenschaften und Spenden. 'Wir gehen dabei gerne auf die Wünsche von Angehörigen ein', betont Ursula Schroeter. So auch im Fall von Ferdinand Klein aus der Mühlstraße, der Sachsenhausen und Auschwitz überlebte.
Ein Stein kostet 120 Euro - Vorbereitungsarbeiten, Herstellung und Verlegung inklusive. Der 155. Stolperstein in Gießen wird am 4. Mai gesetzt.
Das Spendenkonto lautet: Evangelische Lukasgemeinde, Sparkasse Gießen, IBAN: DE53 5135 0025 0200 7134 18, BIC: SKGIDE5F, Verwendungszweck: 'Projekt Stolpersteine'"
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vgl. Beitrag von Burkhard Möller in der "Gießener Allgemeinen" vom 10. Februar 2020: "Digitales Gedenkbuch für "Stolperstein"-Opfer
Die Geschichte der bislang 154 Gießener "Stolperstein"-Opfer findet sich nun auf der Stadt-Homepage. Herausgekommen ist ein bewegendes Stück Stadtgeschichte.
.."  
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Februar 2023: Reste der Synagoge bei Ausgrabungen in der Südanlage entdeckt 
Artikel von Ingo Berghöfer im "Gießener Anzeiger" vom 18. Februar 2023: "Synagogen-Reste entdeckt.
Ungewöhnlich gut erhaltene Überreste der in der Reichspogromnacht angezündeten neuen Synagoge wurden jetzt bei Ausgrabungsarbeiten vor der Kongresshalle entdeckt.

Gießen. 'Als am Morgen des 10. November die Frau des Synagogendieners im Heizungsraum der neuen Synagoge in der Südanlage 2 (die damals noch Hindenburgwall hieß) Licht machte, um die Öfen zu kontrollieren, hörte sie ein Klopfen an der Haustür.' So beginnt eine Schilderung von der Zerstörung der größten Gießener Synagoge, die Platz für 500 Besucher bot, in der Pogromnacht des Jahres 1938. Damals wurde das Gebäude verwüstet und in Brand gesteckt, die Ruine anschließend geplündert und schließlich gesprengt. Von der Synagoge sei kein Stein mehr übrig, meldete die Gießener NS-Führung nicht ohne Stolz in die Gauhauptstadt und log dabei einmal mehr.
Verdrängte Geschichte unterm Asphalt. Fast 85 Jahre später hat sich eine Handbreit unter dem Asphalt unverhofft ein Fenster in das düsterste Kapitel unserer Geschichte geöffnet und man kann erstmals seit dem Tag, an dem in Gießen die Diskriminierung der Deutschen jüdischen Glaubens in offene Verfolgung und Entrechtung umschlug, wieder in diesen Heizungskeller schauen. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, Stadträtin Astrid Eibelshäuser, der Bodenarchäologe der Stadt Gießen, Björn Keiner, und Dr. Sandra Sosnowski vom Landesamt für Denkmalpflege präsentierten am Freitag die unerwarteten Entdeckungen einer Notausgrabung. 'Für einen historischen Moment kann man sich der eigenen Geschichte und jener der Stadt an einem zentralen Ort stellen', sagte Becher.
Vor dem Hintergrund der Erweiterung des Kongresshallenfoyers war bereits mit Funden gerechnet worden, da der Standort der Synagoge, die im 90-Grad-Winkel zur heutigen Kongresshalle vis-à-vis dem Stadttheater gestanden hatte, gut dokumentiert ist. Womit allerdings niemand gerechnet hat, ist der außerordentlich gute Zustand der Synagogen-Reste. Teilweise bis in Brusthöhe sind die Kellerräume des Gebäudes erhalten. Dort, wo früher der Kiosk der Touristen-Information angesiedelt war, ist noch die alte Kohlenrutsche zu sehen, über welche die 1925 eingebaute Zentralheizung versorgt worden war. Die Ausgrabung hat den mittleren Bereich der Synagoge freigelegt. Auch die anderen beiden Teile des Kellers Richtung Südanlage und unter der Kongresshalle dürften also noch erhalten sein, da die Kongresshalle nicht unterkellert ist. Die binnen sechs Wochen unter teils widrigen Wetterbedingungen mit Dauerregen und Temperaturen von bis zu minus zehn Grad freigelegten Räume befanden sich in der Mitte des 1867 errichteten und 1892 erweiterten Gotteshauses. Sorgsam behauene Sandsteinquader markieren den Übergang vom Altbau zum Anbau. Auffälligster Fund ist ein großer achteckiger Stein mit einer quadratischen Öffnung, der wahrscheinlich beim Brand des Gebäudes durch die Decke gebrochen und in den Keller gestürzt ist. Dow Aviv von der Jüdischen Gemeinde hat ihn als Fuß eines Chanukka-Leuchters, des ewigen Lichts, identifiziert. Aviv hatte bereits am Vorabend als Erster die Ausgrabung besichtigen können. Ein Moment, der viele Emotionen in ihm ausgelöst habe, und in dem viele Erinnerungen an seine eigenen, in der Shoah umgekommenen Angehörigen auf ihn einstürmten, sagte er im Gespräch mit dem Anzeiger. 'Das war ein Augenblick, der mir klar gemacht hat, wie wichtig eine lebendige Erinnerungskultur für uns ist.' Aviv kündigte an, dass die Jüdische Gemeinde einen Gedenkgottesdienst an der Ausgrabungsstelle abhalten werde. Wie mit den neuen Funden umgegangen wird, ist derzeit noch offen, auch wenn sie bereits Auswirkungen haben. Eine ursprünglich unter der künftigen Terrasse des erweiterten Kongresshallen-Foyers geplante, 18 Kubikmeter fassende Zisterne ist inzwischen verlegt worden. Über das weitere Vorgehen werde der Magistrat in Rücksprache mit dem Denkmalschutz entscheiden. Eine Glasplatte im neuen Anbau, der einen Blick in die Vergangenheit ermöglichen würde, ist nach Ansicht von Landesdenkmalschützerin Sosnowski 'nicht das Mittel der Wahl'. Astrid Eibelshäuser gibt zu bedenken, dass auch die Kongresshalle unter Denkmalschutz stehe. 'Das muss man in ein sinnvolles Verhältnis bringen und deshalb kann man heute noch keine abschließenden Aussagen treffen.' Vieles ist denkbar; von der 3D-Rekonstruktion des Gebäudes in einer 'Virtual Reality'-Umgebung bis zu einer 'Augmented Reality'-Version der Ruinen, die man vor Ort per Smartphone anschauen könnte. Ob die Integration der Kellerräume, etwa als Gedenkstätte, in die Kongresshalle möglich wäre, ist nicht nur eine Frage der Kosten, sondern auch der Statik. 'Ob die Gebäudeteile aufgestockt werden könnten, müsste erst einmal geklärt werden', sagt Sosnowski. Aus archäologischer Sicht sei auch das Zuschütten der Kellerräume eine Option, da dies die Überreste am besten für nachfolgende Generationen und für eventuelle spätere Ausgrabungen konserviere. Zumal der Fund jetzt mit 3D-Technik vermessen und bestens dokumentiert sei.
Verbrannte Gebetsbücher im Bauschutt. Im Bauschutt, mit dem die Keller nach der Sprengung verfüllt wurden, hat das polnische Ausgrabungsteam nicht nur von der großen Hitze des Brandes deformierte Nägel, Schrauben, eiserne Türbeschläge und Lampenschirme entdeckt, die teilweise in den Steinboden eingeschmolzen sind, sondern auch stark angesengte Überreste von Gebetsbüchern. Auf einem briefmarkengroßen Schnipsel kann man noch das hebräische Wort für 'Schabbat' entziffern. Entdeckt wurden bei den Ausgrabungen auch die Überreste eines längst vergessenen Nachkriegsbaus. Direkt auf den Synagogenfundamenten und damit deren Stabilität ausnutzend, wurde - Ursache und Wirkung - eine Notbaracke für Ausgebombte errichtet. Auch beim Bau der Kongresshalle Anfang der 1960er muss man übrigens auf die Überreste einer finsteren Vergangenheit gestoßen sein. So sind damals Teile einer Kellerwand entfernt worden, um eine Wasserleitung für die Halle zu verlegen. Groß thematisiert wurde das in den Wirtschaftswunderjahren offenbar nicht. Seinerzeit seien auch Planungs- und Genehmigungsverfahren sehr viel kürzer gewesen als heute, und es gab auch noch keinen Denkmalschutz, ergänzte Astrid Eibelshäuser. Dass die Öffentlichkeit erst jetzt über den Fund informiert wurde, erklärt der Stadtarchäologe mit der Furcht vor Beschädigungen durch Raubgräber und Andenkensammler. 'Es gibt da nichts zu holen, schon gar keine Schätze', betont Björn Keiner. Auch sei es sicher nicht die beste Idee, in ein von zwei Bauzäunen und mit Kameras gesichertes Areal einzudringen, das nur wenige Meter vom Polizeipräsidium entfernt liegt."  
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Links und Literatur

Links:

bulletWebsite der Stadt Gießen  
bulletStolpersteine in Gießen: www.stolpersteine-giessen.de (wird 2020 abgeschaltet, neue Übersicht zu den Stolpersteinen in Gießen über www.giessen.de, dort über Rubrik "Erleben")  
bulletWebsite des "Oberhessischen Geschichtsvereines Gießen e.V."   
bulletZur Seite über die jüdischen Friedhöfe in Gießen (interner Link)    
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zur jüdischen Geschichte in Gießen 

Quellen:  

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Gießen   
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Gießen sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,829   Geburtsregister der Juden von Gießen - Wieseck   1776 - 1816 - Auszug aus dem Kirchenbuch der evangelischen Pfarrei Wieseck, zusammengestellt 1943  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v5135969    
HHStAW 365,368   Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden von Gießen  1788 - 1837, enthält Verzeichnis der Geburten, Trauungen und Sterbefälle, nach 1934 zusammengestellt auf Grundlage von Akten des Stadtarchivs Gießen durch Josef Marx, Kantor und Lehrer in Gießen von 1891 bis 1934  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v289937        
HHStAW 365,370   Gräberverzeichnis des jüdischen Friedhofs am Nahrungsberg in Gießen, zusammengestellt auf Grundlage des Memorbuches und der Sterbeurkunden durch Josef Marx, Kantor und Lehrer in Gießen, Laufzeit 1836 - 1908, enthält Gräberverzeichnis und Alphabetisches Register der Verstorbenen mit Angabe der Grabnummer   https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2573921                     
HHStAW 365,369   Gemeindebuch der jüdischen Gemeinde Gießen mit Angaben zu Trauungen, Sterbefällen, Schulinspektionen und Religionsprüfungen  1903 - 1911  https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v1030578     

Literatur:  

bulletGermania Judaica II,1 S. 278-279; III,1 S. 436-437. 
bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 
bulletders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente. S. 73-74.   
bulletJosef Stern: Die Gießener Juden in Israel. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen. N.F. Bd. 65. 1980. 
bulletKurt Heyne u.a.: Judenverfolgung in Gießen und Umgebung 1933-1945. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen. N.F. Bd. 69. 1984.
bulletErwin Knauß: Die jüdische Bevölkerung Gießens 1933-1945. Wiesbaden 1972. 
bulletThea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? 1988 S. 115-117.  
bulletdies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 34-37.   
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 122-130. 
bulletMonica Kingreen: Jüdische Patienten in der Gießener Anstalt und deren Funktion als "Sammelanstalt" im September 1940, in: Uta George, Herwig Groß, Michael Putzke, Irmtraut Sahmland, Christina Vanja (Hg.): Psychiatrie in Gießen. Facetten ihrer Geschichte zwischen Fürsorge und Ausgrenzung, Forschung und Heilung, Gießen 2003, S. 251-289. 
bulletMonica Kingreen: Gewaltsam verschleppt aus Oberhessen. Die Deportationen der Juden im September 1942 und in den Jahren 1953-1945, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Gießen, Neue Folge 85. Band 2000, Gießen 2001, S. 5-95.  
bulletZwei Beiträge von Dagmar Klein (erschienen als Beiträge in: Hessische Heimat. Geschichtsbeilage der Gießener Allgemeinen Zeitung = HH-GAZ)  
Dagmar Klein: Recht auf eigenständiges Denken. Spurensuche zu Henriette Fürth in Gießen. Erschienen in HH-GAZ vom 29. August 2009. Eingestellt als pdf-Datei.  
dies: Der Retter vieler jüdischer Kinder. Walter Süskind (1906-1945) lebte ein Gutteil seiner Jugend im Gießener Neuenweg. In HH-GAZ vom 15. August 2009. Eingestellt als pdf-Datei.               
bulletLit Kurt Gruenebaum 020.jpg (12433 Byte) Heinz Warny: kg.Brüssel. Zum Lebenswerk des Journalisten Kurt Grünebaum. 256 S. Grenz-Echo Verlag Eupen.  Verlagsseite zu diesem Buch.   
Besprechung des Buches in einem Artikel vom 20.11.2010 von Heinz Godesar: Abenteuerliches Leben im Dienst der Presse (auch als pdf-Datei eingestellt). 
Der in Gießen (Hessen) geborene deutsche Journalist Kurt Grünebaum wollte vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten im Frühjahr des Jahres 1933 nur vorübergehend von Köln nach Belgien ausweichen. Doch das Land, das ihm zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt war, wurde seine zweite Heimat. Hierhin kehrte er auch nach der Abschiebung 1940 in die französischen Lager Gurs und St.-Cyprien und nach der Flucht in die Schweiz zurück. Kurt Grünebaum blieb bis zu seinem Tode in seinem Gastland Belgien.  
bullet Giessen Lit 018.jpg (101791 Byte)Hanno Müller: Juden in Gießen  1788-1942
Hrsg. vom Magistrat der Universitätsstadt Gießen, Stadtarchiv Gießen. ISBN 978-3-930489-53-4. 851 S. Gießen 2012.    
Zu beziehen über: Stadtarchiv Gießen  Berliner Platz 1  Postfach 110820  D-35353 Gießen  Website mit Kontaktformular E-Mail.   
 
bulletStolpersteine in Gießen". Hrsg. von Christel Buseck, Monika Graulich, Dagmar Klein, Ursula Schroeter, Klaus Weißgerber, Ludwig Brake. 112 S. Gießen 2012. 7,50 €     vgl. www.stolpersteine-giessen.de/ 
Link über zwei Presseartikel zum Erscheinen des Buches
- Artikel "V  
- Weiterer Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 21. Juni 2012: "Stolperstein-Buch zieht keinen Schlussstrich..." 
Link zum Artikel .  
bullet Hanno Müller: Fotos Gießener Juden.
Hrsg. vom Magistrat der Universitätsstadt Gießen, Stadtarchiv Gießen. ISBN: 978-3-930489-67-1. 252 S. Gießen 2019. 
Zu beziehen über: Stadtarchiv Gießen. Berliner Platz 1 Postfach 110820 D-35390 Gießen  Website mit Kontaktformular E-Mail. 
Kontakt zum Autor: hanno.mueller@fambu-oberhessen.de.   
bulletMarion Davies: The Bock Family from Lich. 1700s to 1874/75. Researched and compiled by Marion Davies 2023 (mit Bezügen zu Gießen). Eingestellt zum Download als pdf-Datei.          

     
     


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Giessen Hesse.  Jews lived there from the mid-13th century, but their community was annihilated in the Black Death persecutions of 1348-49. After returning early in the 15th century, Jews were banished in 1662. 
The community was reorganized in 1720-25, and Jews helped Giessen become a center of the livestock trade. When Abraham Alexander Wolff left to become chief rabbi of Denmark in 1828, je was succeeded by Benedikt Samuel Levi, a champion of Jewish rights, whose rabbinical career spanned 69 years (1828-1896). During his time an organ and choir were introduced into the synagogue, representing the Liberal orientation of the community. Giessen replaced Friedberg as the seat of Upper Hesse's chief rabbinate in 1842 and another synagogue was constructed between 1867-1891. Hermann Levi, Benedikt's son, won fame as a conductor (especially of Wagner's operas). Orthodox seccessionists later founded a separate community (Austrittsgemeinde) in 1887, chose a different rabbi, and built their own synagogue in 1899. Leo Hirschfeld served as their regional chief rabbi (1895-1933). The city's Jewish population grew from 384 in 1871 to 1.035 (over 3 % of the total) in 1910 and Jews were elected to the city council, the chamber of commerce, and the state assembly (Landtag). 
Although Jews were barred from teaching posts at the University of Giessen until 1873, they constituted 10 % of the faculty members during the Weimar Republic. Scholars in different fields - Margarete Bieber (art history and archeology), Fritz Heichelheim (ancient history), Kurt Koffka and Erich Stein (psychology), Richard Laqueur (classical literatur), Samuel Bialoblocki and Yisrael Rabin (Judaica) - were among those who taught there before the Nazi era. Relations between the Liberal and Orthodox communities improved after Worldwar I, both groups working together in local branches of the Central Union (C.V.), the Jewish War Veterans Association and German Zionist Organization, and several youth movements. Jews played a leading role in cultural and professional life during the Weimar Republic. Many festive events took place in the community center and a large number of students at the university promoted Zionism. Among the first graduates to leave for Palestine were Adolf Reifenberg, a Hebrew University agronomist from 1924 and an expert of ancient Jewish coins; Moshe Smoira, first president of Israel's Supreme Court (1948-54); and the archeologist Benjamin (Maisler) Mazar, who later became president of the Hebrew University (1953-61). 
Antisemitism war prevalent in Giessen long before the Nazi . As elsewhere in Germany when Hitler came to power in 1933, anti-Jewish violence mounted day by day as the Nazi boycott was imposed (1 April). A book-burning ceremony took place on 8 May, and the last 'non-Aryan' teachers were dismissed from the university on 20 July. Communal and Zionist workers fostered aliya while maintaining a semblance of Jewish life. The Liberal and Orthodox communities amalgamated shortly before Kristallnacht (9-10 November 1938), when both synagogues were destroyed in a general pogrom. Of the 1.265 Jews living in Giessen and its vicinity in 1933, 730 had emigrated of moved elsewhere by the end of 1938. The community (swelled by refugees) vanished when the last remaining Jews were deported in September 1942. On 2 March 1943, Giessen was declared 'free of Jews' (judenrein). According to an official estimate, 465 Jews emigrated during the Nazi period, (185 to Palestine and 176 to the United States); 346 perished in death camps. The fate of another 530 is uncertain. 
Mainly comprising students and former Displaced Persons, the Jewish community established after Worldwar II numbered 200 in 1998.  
  
     

                   
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Stand: 30. Juni 2020