Anhang: „Alles geht weg, nur wir sehen keinen Ausweg.“

Briefe aus den Jahren 1939 bis 1943

 

Nachdem sie ihre Kinder Elisabeth, Erich und Kurt nach Großbritannien und damit in Sicherheit gebracht hatten, schrieben ihnen Albert und Irma Bernheim aus Stuttgart regelmäßig Briefe. Darin erkundigen sie sich nach der Gesundheit ihrer Kinder, mahnen und raten bei Schwierigkeiten, die in der fremden Umgebung aufgetreten sind, berichten aber auch von den Verwandten, soweit diese noch in Deutschland leben, und von ihren eigenen vergeblichen Bemühungen auszuwandern. Der Krieg verhindert, dass sie ihren Kindern nach Großbritannien folgen können; daher versuchen sie nun, nach Palästina oder in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Den Lebensunterhalt für sich und seine Frau verdient Albert Bernheim anfangs als Hausmeister des Mehrfamilienhauses in der Wernlinstraße, in dem sie auf engem Raum wohnen, und seit März 1940 als Gehilfe in einer benachbarten Gärtnerei. Außerdem beherbergen sie eine jüdische Familie – vermutlich aus Buchau – als Untermieter. Dass sie unter der fortschreitenden Entrechtung und Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung leiden, lassen sich Albert und Irma Bernheim in ihren Briefen nicht anmerken. Kein Wort fällt über das Verbot, öffentliche Bibliotheken zu besuchen und Zeitungen zu beziehen, oder über die Beschlagnahmung der Rundfunkgeräte, auch die alltäglichen Erfahrungen von sozialer Ausgrenzung bleiben unerwähnt. Im Folgenden habe ich einige Briefauszüge zusammengestellt, die über ihre vergeblichen Auswanderungsbemühungen Auskunft geben und die Sorge um ihre Verwandten dokumentieren. Deren weiteres Schicksal habe ich jeweils in den Anmerkungen dargestellt. Die meisten Briefauszüge sind an den 17-jährigen Erich Bernheim gerichtet, einzelne an die 19-jährige Elisabeth Bernheim. Die Originalbriefe befinden sich im Besitz von David Bernheim, dem ich herzlich dafür danke, dass er diese persönlichen Dokumente zur Verfügung gestellt hat.

 

Stuttgart, 7. Dezember 1939

 

Albert Bernheim: Gegenwärtig denken wir viel an allerlei Möglichkeiten, Erez[1] usw., aber es wird noch viel darüber geredet und geschrieben werden, bis ein Ergebnis oder keines dabei herauskommt.

 

Irma Bernheim: Tante Carry[2] ist zur Zeit in Köln, um ihre Schwiegertochter[3] noch vor ihrer Ausreise nach U.S.A. zu sprechen. Jetzt kommt aber etwas !! Hanne Niegho hat seit einigen Tagen ein Töchterchen.[4] Gell, da staunst du. Ihre Mutter[5] musste sich vor Schrecken hinsetzen, als sie die Neuigkeit hörte. Hanne ist in der Universitätsklinik.

 

20. Dezember 1939

 

Albert Bernheim: Kürzlich hörten wir, daß Dr. Schlesinger nicht mehr in Erez, sondern in Amerika ist, er war diesen Sommer noch hier, es hat ihm offenbar nicht gefallen.[6]

 

Irma Bernheim: Uns sowohl der übrigen Verwandtschaft geht es gut. Walters[7] Nummer ist schon dran und ist er aufs Konsulat vorgeladen; er hat Nr. 15000. Tante Sofie Löwenberg[8] reist mit 96 Jahren am 28. Dezember nach Amerika. Tante Martha[9] kann nun auch bald weg, nach Argentinien. Kurt[10] kann sie anfordern und Wolfs (Linthal), die auch in Buenos Aires sind[11], helfen ihm. Tante Martha ist über Weihnachten hier. Wir bemühen uns immer noch um Reisegeld, bis jetzt immer umsonst. Ich glaube bald, fremde Menschen würden mehr helfen als Verwandte.

 

24. Januar 1940

 

Albert Bernheim: Unsere Angelegenheit ist immer auf dem gleichen Nullpunkt, ich glaube, auf diesem Gefrierpunkt bleibt sie stehen.

 

Irma Bernheim: Tante Fanny[12] hat es mit ihrer Pension schlecht getroffen. Die Leute können absolut nicht kochen. Bis März soll Tante, wenn es klappt, in die Pension von Grossmutter[13] kommen. Tante Jenny kommt auch mit. Onkel Heiner[14] geht es zur Zeit wieder etwas besser. Auch Tante Nellys[15] Fuss ist wieder etwas besser.

 

3. Februar 1940

 

Irma Bernheim: Onkel Heiner geht es zur Zeit ordentlich. Eva schreibt sehr zufrieden.[16] Ernst[17] hat seine Frau in New York abgeholt. Tante Fanny kommt auf 1. März in die Nähe von Grossmutter zu wohnen, was für beide Teile sehr angenehm ist. Tante Jenny hat bei Tante eine sehr leichte Stelle und kann sie sich jetzt erholen. Hanne und Jupp[18] sind immer noch in Berlin. Das Kleine von Hanne gedeiht sehr gut. Hat Karl Guggenheim[19] einmal geschrieben, ihm hatte Vater vor einiger Zeit wegen Deiner Amerika-Sache geschrieben. Uns hat er nie Antwort gegeben.

 

12. Februar 1940

 

Albert Bernheim: Was unsere Ab- oder Aussichten betrifft, so haben wir uns schon für vielerlei interessiert, die Sachen stellen sich aber nachher immer als zweifelhaft oder sogar als schwindelhaft heraus. Wir versuchen nun – wie viele andere – nach Erez zu kommen, wozu uns ja – wie wir schon schrieben – die Verwandten durch Vermittlung von Tante Cilly[20] ihre Hilfe zusagten. Alle diese Sachen sind sehr langwierig. Die U.S.A. Nummern bis 20000 sind aufgefordert worden, ihre Papiere einzureichen, gegenwärtig sind etwa Nr. 12000 an der Reihe. (Unsere Nr.: 39000!)

Schreibe doch an Karl Guggenheim, ob er die ihm schon vor langer Zeit eingesandten Papiere an das dort zuständige Konsulat eingesandt habe, sonst möge er es doch sofort erledigen. (160 5th Ave., New York)

Möchtest Du denn nicht so gerne nach U.S.A.? Wenn es für uns dort jemals eine Möglichkeit gäbe, wäre es uns noch lieber!

 

Irma Bernheim: Nun zur Familie. Grossmutter hat sich immer noch nicht ganz erholt. Onkel Heiner hat wieder öfters Anfälle.[21] Tante Nelly kommt zur Zeit sehr schlecht mit Tante Carry aus und wenn sie streiten, regt Heiner sich auf. Tante Jenny hätte diese Woche beinahe am Blinddarm operiert werden müssen, aber es hat sich nochmals gemacht. Sie ist ein armer Teufel, dem auch alles zukommt. Hanne kommt auch nicht so rasch weg, wie sie es gerne hätten. Es gehört aber zu allem Geduld. – Therese Schnekenburger[22] hat sich auf Weihnachten auch verlobt mit einem Bahnbeamten, wir haben es durch einen Dritten erfahren, sie selbst hat es uns nicht mitgeteilt.

 

15. Februar 1940

 

Albert Bernheim: Wir sind gesund. Ich lese gegenwärtig: Rhodes, a life, von Macdonald[23], es ist sehr schön und nicht besonders schwierig, nebenher „Kaleko: Iwrith“[24] zu meiner Heizerstelle hier. – Unsere Auswanderungsfrage steht immer noch auf dem gleichen Fleck, die Möglichkeiten nach exotischen Staaten sind zweifel- und manchmal schwindelhaft. Dagegen bemühen wir uns gegenwärtig um Erez, was auch nicht leicht und scheints langwierig ist, wenn uns auch dazu von den ausländischen Verwandten die Mittel zugesagt wurden.

 

Irma Bernheim: Onkel Heiners Befinden ist wechselnd; er hofft immer noch, auswandern zu können. Tante Sofie Löwenberg ist gut in New York gelandet. Friedel Weil kam auch vor 14 Tagen mit einem Kindertransport nach Amerika.[25] Familie Moos, die bei uns wohnt, hat auf 7. März ihre Vorladung zum Konsulat bekommen. Alles geht weg, nur wir sehen keinen Ausweg.

 

22. Februar 1940

 

Albert Bernheim: Wir würden uns dafür interessieren, warum Du lieber nach Erez möchtest, die Aussichten dorthin zu  kommen, sind doch wohl auch von dort aus[26] nicht besser d. h. gering und die Fahrtkosten sehr hoch, die wirtschaftlichen Aussichten scheinen mir gerade auch nicht rosig (d. h. sogar schlecht) zu sein und ich würde von Deinem Standpunkt aus lieber nach U.S.A. gehen. Deswegen ist es nicht nötig, seinen grundsätzlichen Standpunkt zu ändern, auch der meine ist der gleiche geblieben, aber die fortwährenden Unruhen haben viele Hoffnungen und Blütenträume zerstört. Aber Du kannst es Dir ja noch überlegen.

            Wegen unserer eigenen Sache schrieb ich ja kürzlich schon. Von Fastnacht hat man hier nichts bemerkt, gestern waren wir in einer ganz schönen Veranstaltung der Gemeinde für das Winterhilfswerk. Es mußte schon dreimal wiederholt werden.

 

Irma Bernheim: Dein Vater hat von den Hausbewohnern für sein gutes „Einheizen“ eine wunderschöne Brieftasche mit einem noch schöneren selbstverfassten Gedicht, das Herr Oppenheimer[27] gedichtet hat, bekommen. Sonst ist in der Familie alles beim Alten.

 

4. März 1940

 

Irma Bernheim: In der Familie ist nicht viel Neues los. Es ist alles gesund. Jetzt ist es bald ein Jahr her, dass ich operiert wurde und der Kleine[28] fortkam. Ich glaube, er denkt nicht mehr viel an uns? Sicher hat er seinen Geburtstag schön gefeiert. Frieda Jaisle[29] hat sich auch verlobt, mit einem Zahntechniker. Max Kaufmann[30] fährt am 7. März nach Argentinien. Bei Tante Martha wird es Ende März bis Anfang April werden, sie hat ihre Papiere immer noch nicht. Erinnerst Du Dich an Jockel Einstein, der mit Dir in Mühringen war? Er ist ein Neffe von Herrn Moos, der bei uns wohnt. Der Junge ist auf einem Anwaltsbüro hier, hat aber bald Aussicht, nach U.S.A. zu kommen. Er ist ein netter Kerl. Walter wartet sehnlichst auf seine Bürgschaft.

 

12. April 1940

 

Irma Bernheim: Lieber Erich, wenn Du mit Deinem Mut zusprechen nur recht hättest. Es gehört schon etwas dazu, dass man seinen Kopf nicht verliert, aber ich hoffe, dass auch wir noch einmal Glück haben. Das Reisegeld hätten wir jetzt beisammen. – Vergesse auch Vaters und Grossmutters Geburtstag, letzterer am 8. Mai, nicht. Jetzt möchte ich Dein Gesicht sehen, denn ich weiss jetzt schon, dass Du daran gedacht hättest ohne zu erinnern, doch es ist besser so. Letzte Woche waren wir bei Onkel Herberts Geburtstagskaffee, wo es ganz nett war.[31]

 

9. Mai 1940

 

Albert Bernheim: Wir nehmen jetzt wieder englische Stunden, in unserer Wohnung. In der Praxis werden wir nicht so gut sein, wie auf dem Papier.

 

Irma Bernheim: Leider muss ich Dir mitteilen, dass Tante Fanny am Samstag einen neuen Schlaganfall bekam, an dessen Folgen sie Montagnacht gestorben ist. Theo[32] war mit seiner Frau und Schwiegermutter bei ihr zu Besuch und sie ahnte, dass er kam, um Abschied zu nehmen. Das war zuviel für sie, nachdem Max erst vor vier Wochen wegging und hat Sie sich innerlich sicher sehr darüber aufgeregt. Ihr ist ja die Ruhe zu gönnen, aber Grossmutter[33] tut mir schrecklich leid und auch Tante Sofie[34], denn die Schwestern sind sehr aneinander gehängt. Vielleicht sprichst Du Tante Sofie und Onkel Louis[35] im nächsten Brief Dein Beileid aus. Dass Grossmutters Geburtstag[36] aus diesem Grunde gestern sehr traurig war, kannst Du Dir ja denken. – Theo ist nach Schanghai gereist und war es ein trauriger Abschied für ihn. – Auf Erichs Bericht über seinen Besuch bei Kurt bin ich sehr neugierig. Tante Martha schifft sich am 11. Mai nach Argentinien ein. – Hanne hat ein Bild von ihrem Kind geschickt und ist es ein sehr kräftiges Mädel. Leider sind ihre Aussichten wegzukommen auch schlecht.

 

Nach diesem Brief wurde zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich eine Briefsperre verhängt. Albert und Irma Bernheim konnten mit ihren Kindern fortan nur noch kurze Botschaften über das Rote Kreuz wechseln. Die ausführlichere Berichterstattung übernimmt bald die 82-jährige Großmutter Emma Oettinger, geb. Landauer, die im April 1941 zu ihrer Schwester Sophie Lazarus, geb. Landauer in die Schweiz geflohen war.

 

Linthal (Kanton Glarus), 30. April 1941

 

Emma Oettinger an Erich Bernheim: Mein lieber Erich! Du wirst nicht wenig erstaunt sein, von hier aus Brief von mir zu erhalten. Ich bin seit letzten Freitag hier und freue mich, mit Tante Sofie meinen Lebensabend verbringen zu können. Daß mir der Abschied schwer gefallen ist, kannst Du Dir denken, habe ich doch keines von den dortigen Lieben mehr. Onkel Herbert und Vater haben seit kurzem ein Affidavit und Vater außerdem ein hohes Akkreditiv von Alfred[37], aber an eine Ausreise wird vorerst nicht zu denken sein, da alles sehr langsam vor sich geht. Namentlich die Passageschwierigkeiten sind sehr groß, da sie in Devisen bezahlt werden müssen und die Schiffsplätze sind auf viele Monate hinaus belegt. Es sind schwere Zeiten für uns alle und wir können leider nichts ändern, müssen Geduld haben und das Beste hoffen. – Tante Cilly ist schon drei Wochen weg, sie fährt zu Wolfs nach Buenos Aires.

 

Linthal, 11. Mai 1941

 

Emma Oettinger an Elisabeth Bernheim: Bemerken will ich noch, daß die Eltern gesund sind, daß Vater immer noch seine Arbeit bei dem Gärtner verrichtet und daß ihm dieselbe gut bekommt. Auch bei Onkel Herbert ist gesundheitlich alles in Ordnung, nur Onkel Heiner ist gegenwärtig wieder recht krank, nachdem es ihm eine Zeitlang besser gegangen ist.

 

Linthal, 4. Juni 1941

 

Emma Oettinger an Elisabeth Bernheim: Vater arbeitet noch immer in der Gärtnerei und sie sind mit der Auswanderung einen Schritt weiter gekommen, wenn es damit auch nicht so schnell geht, wie sie es wünschen. Daran sind eben die schweren Zeiten schuld, von denen wir heimgesucht sind. Bei Onkel [Herbert] geht es leider auch nicht rascher voran, doch man darf die Geduld nicht verlieren und muß das Beste hoffen. Vor 14 Tagen ist Onkel Heiner nach einem langen Krankenlager gestorben. Er konnte nichts mehr zu sich nehmen, so daß der Tod eine Erlösung für ihn war. Daß auch Onkel Gustav[38] nicht mehr unter den Lebenden weilt, hast Du vielleicht von Tante Helene[39] erfahren. So wird der Kreis um uns immer kleiner, doch das ist Menschenschicksal.

 

Linthal, 11. Juli 1941

 

Emma Oettinger an Elisabeth Bernheim: Hier ist alles in Ordnung, und von den Eltern höre ich gesundheitlich Gutes, dagegen geht es mit ihrer Ausreise leider nicht voran, obwohl sie die hierzu nötigen Papiere in Händen haben. Aber die amerikanischen Konsulate sind geschlossen, so daß sie kein Visum erhalten. Das ist traurig, aber was können wir dagegen machen? Wir müssen uns gedulden, wenn es uns auch noch so schwer fällt. [...] Eva schreibt befriedigend, sie und ihr Mann haben Beschäftigung, so daß sie ihr Auskommen haben. Daß ich von Onkel Hugo und Siegfried[40] so gar nichts höre, habe ich Dir wohl schon geschrieben, und ich kann nur hoffen, daß sie gesund sind.

 

Linthal, 19. Juli 1941

 

Emma Oettinger an Erich Bernheim: Daß die l[ieben] Eltern und Onkel Herbert in absehbarer Zeit keine Ausreisemöglichkeit haben, ist traurig und bedrückt mich sehr, und ich kann nur hoffen, daß sie es nicht zu schwer nehmen. Vater arbeitet noch immer in der Gärtnerei und fühlt sich bei der schweren körperlichen Arbeit recht wohl. Daß Onkel Heiner vor einigen Wochen von seiner schweren, langjährigen Krankheit erlöst wurde, habe ich vielleicht schon geschrieben. Nicht aber, daß sich Walter verheiratet hat, nachdem er vor einem halben Jahr Vater eines Töchterchens geworden ist.[41] Er arbeitet immer noch bei einem Gärtner; es war ihm noch nicht möglich auszureisen, obwohl er sich schon lang darum bemüht. Auch Hermine[42] hat leider noch nichts erreichen können, so sehr ihr Onkel Siegfried behilflich ist. Von Onkel Hugo und Onkel Frieder[43] höre ich seit 5/4 Jahren nichts und kann nur hoffen, daß sie gesund sind. Hier ist alles in Ordnung und ich könnte froh sein, wenn die Sorgen um unsere Lieben nicht wären. Wir suchen gegenwärtig eine andere Wohnung, da die unsrige geräumt wird. In Linthal selbst ist keine zu haben, so daß wir in der Nähe etwas zu finden hoffen. Eilig ist es nicht damit, so daß wir uns Zeit lassen können.

 

Linthal, 24. August 1941

 

Emma Oettinger an Erich Bernheim: Mit den Lieben stehe ich in reger Verbindung, sie sind gesund, aber ihre Ausreise ist leider in weite Ferne gerückt, da die amerikanischen Konsulate geschlossen sind, so daß sie kein Visum erhalten können. Aber man darf den Mut nicht sinken lassen und hoffen, daß sich doch noch ein Weg für sie findet. Von Tante Martha höre ich ziemlich regelmäßig; sie ist gesund und Kurt ist tüchtig und fleißig, so daß sie ihr gutes Auskommen haben. Von Hugo und Frieder erhalte ich durch Tante Martha einen Brief, der allerdings soweit zurück liegt, vom Januar, inzwischen habe ich auch durch das Rote Kreuz von ihm gehört, daß sie alle gesund sind. Lilo[44] hat sich im letzten Jahr verheiratet und wohnt bei ihren Eltern, denen sie in der Landwirtschaft behilflich sind. Hanna[45] bekam den zweiten Jungen und bei Ernst[46] ist ein Töchterchen angekommen. Von Hermine bin ich Nachricht erwartend, es ist ihr leider auch noch nicht gelungen, von dort weg zu kommen, so sehr sie sich darum bemüht. Tante Ida[47] ist seit Kurzem in einem Altersheim in Luzern, während Lina und Josi sich noch in Gurs befinden.[48] Sally bemüht sich, sie von dort weg und zu ihm zu bringen, aber bis jetzt ohne Erfolg. Nun habe ich Dir so ziemlich alles Wissenswerte berichtet, bedauerlicherweise wenig Gutes.

 

Linthal, 21. September 1941

 

Emma Oettinger an Elisabeth Bernheim: Anfang September mußten [die Eltern] umziehen.[49] Sie haben ein Zimmer und einen Abstellraum bekommen und dürfen auch die Küche benutzen. Dabei müssen sie froh sein, etwas gefunden zu haben, da dies anscheinend sehr schwer ist. Onkel Herbert soll Anfang Oktober ausziehen und wird wohl auswärts etwas gesucht haben, wahrscheinlich gehen sie nach B[uttenhausen], wo die Großeltern früher gewohnt haben.[50] Die Eltern wohnen Moserstraße 13 II, wenn ihr denselben schreiben wollt. Auch wir gehen Mitte Oktober von hier weg, da das Haus verkauft ist, und zwar nach Schwanden, einige Stationen von hier. Unsere Adresse ist: Malermeister Spörry-Jenny, Thermastraße. Von Tante Martha habe ich öfter Nachricht. Sie ist gesund und freut sich, bei Kurt sein zu können, der eine gute Stelle hat. Daß Ernst verheiratet [ist] und schon ein Töchterchen hat, habe ich vielleicht schon geschrieben. [...] Und nun komme ich noch auf Deinen Geburtstag zurück, an dem Du so reich beschenkt worden bist. Ich bedaure nur, Dir nichts geben zu können, aber diese Zeit ist leider vorbei und wir müssen froh und dankbar sein, wenn wir uns gegenseitig schreiben können. Aber einmal wird auch dieser unselige Krieg ein Ende nehmen, damit es wieder besser kommen kann.

 

Es folgen die beiden letzten Nachrichten, die Albert und Irma Bernheim ihren Kindern vor ihrer Deportation nach Riga über das Rote Kreuz zukommen lassen konnten.

 

Stuttgart, 4. November 1941

 

Albert und Irma Bernheim an Elisabeth Bernheim: Erfreut über gute Nachrichten, leider können wir nicht dabei sein. Haltet weiter zusammen. Hofft auf bessere Zeiten.

Sind gesund, grüssen alle herzlichst

Eure Eltern.

 

Stuttgart, 15. November 1941

 

Albert und Irma Bernheim an Kurt Bernheim: Are glad at your good health. Continue being a good son and pupil. [We] don’t give up hope meeting you again. Love to all

your parents.

 

Schwanden (Kanton Glarus), 27. April 1942

 

Emma Oettinger an Erich Bernheim: Von den l[ieben] Eltern sind wir leider immer noch ohne direkte Nachricht, so sehnlichst ich darauf warte. Von verschiedenen Seiten habe ich aber gehört, sie wären gesund und es gehe ihnen ordentlich. Hoffen wir, dass dies der Fall ist und dass sie es uns bald schreiben können. Onkel [Herbert] ist noch in Buttenhausen, doch ich befürchte, daß auch er das gleiche Schicksal erleiden muß. Jerda und Minna[51] sind vor 14 Tagen weggekommen, auch Walter mit Frau und Kind, während die Schwestern Clara und Ida[52] schon seit Oktober weg sind und die letzte Zeit nichts mehr von sich hören ließen. Es sind traurige Zeiten, in denen wir leben und die wir leider nicht ändern können. Einmal wird auch dieser entsetzliche Krieg zu Ende gehen, dann wird es auch wieder besser kommen.

 

Schwanden, 15. November 1942

 

Sophie Lazarus an Erich Bernheim: Onkel Herbert und Tante sind nach Theresienstadt gekommen[53], von dort soll jetzt der Postverkehr eröffnet werden. Ich möchte es Großmutter gönnen und es würde ihr Krankenlager erleichtern, wenn Nachricht von ihren Kindern käme. Es geht ihr leider nicht gut, sie leidet schwer unter Schmerzen, besonders in den Händen, die Nächte sind schlecht.[...] Allmählich ist ein Kriegsende in die Nähe gerückt, auch wir Alten hoffen, die neue Zeit noch zu erleben und ein Wiedersehen mit der Familie. Vorige Woche hatten wir einen Emigranten-Besuch aus Zürich von einem jungen Ehepaar, die in Paris lebten. Die Frau ist eine Großnichte von Tante Klara, sie hatten das Glück, die hiesige Grenze zu erreichen und werden jetzt wohl in einem Flüchtlingslager sein. Jetzt ist auch dieser Ausweg geschlossen und all die armen Menschen sind gefangen. Wir hier in der Schweiz sind im Paradies und danken täglich dafür.– Den Brief von Onkel Hugo haben wir durch Elisabeth erhalten, von Heinz[54] haben wir keine Adresse, sende den Brief an Onkel Hugo. An Tante Martha schreiben wir immer durch Wolfs, um das Porto zu sparen, untenstehend deren Adresse, ebenso die von Werner[55] und Eva[56].

 

Schwanden, 23. Januar 1943

 

Sophie Lazarus an Erich Bernheim: Leider hat sich der Zustand von Großmutter eher verschlechtert, es war ein schwerer Nervenzusammenbruch, der immer wieder neue Beschwerden und Bedrückungen bringt. Großmutter leidet sehr und die Kraft nimmt sichtlich ab.[57] [...] Von den Eltern und Onkel Herbert sind wir ohne Lebenszeichen. Die Berichte über die Verschleppten sind besorgniserregend.

 

Erschienen in: BC – Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach Jg. 30, H. 1 (Juni 2007), S. 20-35.

 



[1] Erez: „das Land (Israels)“, gemeint ist Palästina.

[2] Karoline Oettinger, geb. Mayer (1881-1944), die mit Irma Bernheims Bruder Herbert Siegfried Oettinger verheiratet war. Das Ehepaar war am 21. November 1938 von Riedlingen nach Stuttgart gezogen.

[3] Die erste Ehefrau des Juristen Dr. iur. Ernst Walter Oettinger (1911-1998), deren Name nicht zu ermitteln war. Die Heirat muss um 1935 in Köln erfolgt sein.

[4] Hanna Niegho, geb. Zamory, geb. 6. Juni 1921 in Lauenburg, (Pommern), eine Tochter von Hugo Zamory und und Jenny Zamory, geb. Marcus, hatte mit ihrer Mutter in Schwäbisch Hall gewohnt und dort die Schule besucht. Danach zog sie nach Berlin, um sich dort auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten, und lernte dabei den Belgier Joseph Niegho, geb. 23. April 1916 in Brüssel, kennen, den sie im Dezember 1938 heiratete. Tochter Elvira war als erstes Kind aus dieser Ehe am 27. November 1939 geboren worden. Mit Gisela kam am 14. April 1942 eine zweite Tochter zur Welt. Die gesamte Familie wurde am 4. August 1943 nach Auschwitz deportiert, Hanna Niegho und ihre Töchter wurden dort ermordet, Joseph Niegho starb am 9. Februar 1945 im KZ Buchenwald.

[5] Jenny Zamory, geb. Marcus, geb. 5. Juni 1896 in Neumark (Westpreußen), war eine Schwester von Paula Oettinger, geb. Marcus. Sie hatte im Textilgeschäft von Hugo und Paula Oettinger in Schwäbisch Hall gearbeitet und war um 1936 nach Stuttgart gezogen. Am 1. Dezember 1941 wurde sie zusammen mit Albert und Irma Bernheim nach Riga deportiert und dort ermordet.

[6] Gemeint ist Dr. phil. Abraham Schlesinger (1882-1961), ehemaliger Rabbiner von Buchau (und damit auch für die Riedlinger Juden zuständig). Schlesinger war am 24. Oktober 1938 in Buchau verhaftet und nach Stuttgart abgeschoben worden. Später emigrierte er doch nach Israel.

[7] Walter Oettinger, geb. 16. Februar 1922 in Frankfurt am Main, Sohn von Heinrich und Nelly Oettinger, geb. Mayer. Walter Oettinger zog im April 1935 von Riedlingen zunächst nach Esslingen am Neckar, um dort eine Gärtnerlehre zu absolvieren. Seit 1938 arbeitete er als Gärtnergehilfe in Stuttgart. Er konnte nicht mehr emigrieren und wurde am 26. April 1942 nach Izbica deportiert.

[8] Sofie Löwenberg, geb. Oettinger, geb. 8. Dezember 1848 in Buttenhausen, eine Schwester von Elisabeth und Erich Bernheims Großvater und dem Riedlinger Geschäftsgründer Ernst (Ezechiel) Oettinger. Sie war demnach „nur“ 92 Jahre alt.

[9] Die Witwe Martha Thanhauser, geb. Oettinger (1886-1966), eine Tante von Elisabeth und Erich Bernheim, die zuletzt in Konstanz am Bodensee gewohnt hatte und am 11. Mai 1940 nach Buenos Aires emigrieren konnte.

[10] Kurt Thanhauser, geb. 9. April 1915 in Konstanz, ein Sohn von Hans und Martha Thanhauser, der mit seiner Ehefrau Lieselotte Thanhauser, geb. Metzger, nach Buenos Aires emigriert war. Er starb dort am 5. August 2005.

[11] Der Stuttgarter Fabrikant Alfred Wolf und seine Ehefrau Frida Flora Wolf, geb. Landauer, geb. 18. Dezember 1894 in Ulm, eine Tochter von Elisabeth und Erich Bernheims Onkel Louis Landauer. Wolf war Gründer und Teilhaber der Baumwoll- und Putzwollfabrik Wolf und Söhne in Untertürkheim. Das Ehepaar emigrierte zunächst nach Linthal (Schweiz) und von dort aus 1939 nach Buenos Aires.

[12] Fanny Kaufmann, geb. Landauer, geb. 17. Oktober 1860 in Buttenhausen, starb nach einem Schlaganfall am 7. Mai 1940 in Stuttgart (s. unten). Sie war eine Schwester von Elisabeth und Erich Bernheims Großmutter Emma Oettinger.

[13] Emma Oettinger, geb. Landauer, wohnte seit dem 21. November 1938 mit Herbert Siegfried und Karoline Oettinger in der Gustav-Siegle-Straße 41.

[14] Der Kaufmann Heinrich Oettinger (um 1880-1941), Ehemann von Nelly Oettinger, geb. Mayer. Als seine Ehefrau mit den Kindern nach Riedlingen zog, war Heinrich Oettinger zunächst in Frankfurt am Main geblieben. Nach einem KZ-Aufenthalt im Sommer 1938 folgte er seiner Familie nach Riedlingen und zog mit ihr von dort am 21. November 1938 in die Gustav-Siegle-Straße 41. Er litt seit seiner Entlassung aus dem KZ unter Angina pectoris und einer Nierenentzündung.

[15] Nelly Oettinger, geb. Mayer (1883-1942), Ehefrau von Heinrich Oettinger und eine Schwester der oben erwähnten Karoline Oettinger, geb. Mayer. Auch sie wohnte seit dem 21. November 1938 in der Gustav-Siegle-Straße 41. Nelly Oettinger hatte sich 1935 dem christlichen Glauben zugewandt. Zusammen mit ihrem Sohn Walter und dessen Familie wurde sie am 26. April 1942 nach Izbica deportiert. Zu ihrem Leben vgl. Elisabeth Oehler-Heimerdinger: Nelly. Das Lebensschicksal einer jüdischen Frau. Zuerst in dies., Wohin der Weg auch führt. Frauenleben in Bedrängnis und Zuversicht. Metzingen 1957, S. 5-44.

[16] Eva Irene Gerson, geb. Oettinger, geb. 17. Oktober 1919 in Riedlingen, eine Cousine von Elisabeth und Erich Oettinger, die im Mai 1938 nach Schottland emigrieren konnte, dort ihren späteren Ehemann kennen lernte und mit diesem im Juni 1939 zunächst nach Paris und wenig später nach New York ging. Dort arbeitete sie anfangs als Putzfrau, später als kaufmännische Angestellte. Sie starb um 1985 an Brustkrebs.

[17] Der Jurist Dr. iur. Ernst Walter Oettinger (1911-1998), ein Cousin von Elisabeth und Erich Bernheim, der bereits im September 1937 nach New York emigriert war.

[18] Gemeint sind Hanna und Joseph Niegho.

[19] Karl Guggenheim, geb. 1. März 1881 in Buchau, emigrierte nach New York und starb dort 1948. Seine Mutter Rebecka Guggenheim, geb. Bernheim, war eine Schwester von Jakob Bernheim, Albert Bernheims Vater.

[20] Cilly Landauer, geb. Levigard (1870-um 1950), die Ehefrau von Elisabeth und Erich Bernheims Onkel Louis Landauer.

[21] Heinrich Oettinger litt unter Herzanfällen.

[22] Theresia Schnekenburger (1913-1975), die als Verkäuferin im Textilgeschäft Ernst Oettinger in Riedlingen gearbeitet hatte. Sie verlobte sich damals mit Bernhard Sauter.

[23] James Gordon MacDonald: Rhodes. A life. London 1927 (mehrere Auflagen).

[24] Saul Kaleko: Hebräisch [= Iwrith] für jedermann. Berlin 1934 (mehrere Auflagen). – Dieser Sprachkurs erschien im Verlag der Jüdischen Rundschau.

[25] Frida Weil, geb. 29. März 1930 in Riedlingen, Tochter von David Weil und Rosa Weil, geb. Strauß. Die Familie war am 1. Juli 1937 von Riedlingen nach Buchau gezogen. Die Eltern von Frida Weil konnten im August 1940 ebenfalls in die Vereinigten Staaten emigrieren.

[26] Also von Großbritannien aus.

[27] Ludwig Oppenheimer, ein Mitbewohner in der Wernlinstraße.

[28] Gemeint ist Kurt Bernheim.

[29] Die spätere Zahnärztin Frida Martin, geb. Jaisle, geb. 10. August 1919 in Riedlingen. Ihre Mutter Frida Jaisle war eine Freundin von Irma Bernheim. Ihr Onkel Georg Jaisle hatte im Textilgeschäft Ernst Oettinger als Buchhalter, ihre Patentante Emma Jaisle hatte dort als Verkäuferin gearbeitet.

[30] Max (Máximo) Kaufmann, geb. 18. September 1884 in Ladenburg, Sohn von Bernhard Kaufmann und Fanny Kaufmann, geb. Landauer, zuletzt Geschäftsführer des Textilgeschäfts „Brüder Landauer“ in Heilbronn.

[31] Der Kaufmann Herbert Siegfried Oettinger (1883-1944), ein Bruder von Elisabeth und Erich Bernheims Mutter Irma Bernheim, geb. Oettinger. Zusammen mit seiner Ehefrau Karoline Oettinger, geb. Mayer, war er am 21. November 1938 in die Gustav-Siegle-Straße 41 gezogen. Am 6. April 1940 war er 57 Jahre alt geworden.

[32] Theodor Kaufmann, geb. 2. Juli 1887 in Ladenburg, Sohn von Bernhard Kaufmann und Fanny Kaufmann, geb. Landauer. Er emigrierte mit seiner Familie am 8. Mai 1940 nach Shanghai (China) und von dort aus nach dem Zweiten Weltkrieg nach New Jersey (USA). Er starb am 14. Dezember 1958.

[33] Emma Oettinger, geb. Landauer.

[34] Sophie Lazarus, geb. Landauer (1863-1951), die damals in Linthal (Schweiz) wohnte und von dort 1945 nach England emigrierte. Sie war eine Schwester von Fanny Kaufmann, geb. Landauer, und Emma Oettinger, geb. Landauer.

[35] Der Kaufmann Louis Landauer (1858-1940), der mit seiner Ehefrau Cilly Landauer, geb. Levigard, im März 1939 nach Linthal (Schweiz) emigriert war.

[36] Am 8. Mai 1940 war Emma Oettinger, geb. Landauer, 81 Jahre alt geworden.

[37] Alfred Wolf, der mit seiner Familie damals bereits in Buenos Aires wohnte.

[38] Gustav Landauer, geb. 25. Juli 1865 in Riedlingen. Er war um 1894 in die Vereinigten Staaten emigriert und war von dort nach dem Tod seiner Ehefrau im August 1935 vorübergehend nach Riedlingen zurückgekehrt. Er starb am 27. März 1941 in Union (New Jersey). Gustav Landauer war ein Vetter des gleichnamigen bekannten Schriftstellers und Anarchisten (1870-1919) aus Karlsruhe.

[39] Helene Wolf, geb. Kaufmann, geb. 10. März 1890 in Ladenburg, die mit ihrem Ehemann Ernst Wolf in Leicester (England) wohnte. Bei diesem Ehepaar wohnte Sophie Lazarus, geb. Landauer nach dem Zweiten Weltkrieg.

[40] Der Kaufmann Hugo Oettinger (1889-1961) und der Arzt Dr. Siegfried Oettinger (1897-1987), Söhne von Ernst (Ezechiel) Oettinger und Emma Oettinger, geb. Landauer. – Hugo Oettinger hatte 1913 Paula Marcus geheiratet und war von 1913 bis 1919 Angestellter eines Textilgeschäfts in Hof (Bayern). Von 1922 bis 1936 war er Eigentümer des Tuch- und Modewarengeschäfts Otto Maute in Schwäbisch Hall. Am 16. März 1936 zog er mit seiner Frau und seinen Töchtern Ruth und Lilo nach Stuttgart, im November 1936 konnte die Familie nach Palästina emigrieren. Hier betätigte er sich als Landwirt und Besitzer einer kleinen Orangenplantage. – Siegfried Oettinger besuchte das Stuttgarter Reformrealgymnasium, studierte nach seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg in Tübingen, Frankfurt am Main und Freiburg Medizin und wurde 1924 von der Universität Tübingen promoviert. 1928 ließ er sich als homöopathisch orientierter Arzt in Rottweil nieder, nachdem er kurz zuvor Irma Oppenheimer geheiratet hatte. Im Juli 1937 konnte Siegfried Oettinger nach Palästina emigrieren, im September 1937 folgte ihm seine Ehefrau mit den Söhnen Ernst (Yecheskel) und Michael (Micha). – Beide Familien lebten damals in dem Moshav Ein Jered in der Nähe von Netanya. Siegfried Oettinger war dort nach 1945 weiterhin als Arzt tätig.

[41] Heinrich und Nelly Oettingers Sohn Walter hatte sich verheiratet mit Ilse Zwang, geb. 3. Oktober 1914 in Stein (Kocher). Ihre Tochter Rahel Oettinger war bereits am 9. Februar 1941 in Stuttgart zur Welt gekommen. Die gesamte Familie wurde am 26. April 1942 nach Izbica deportiert. Wenn sie nicht schon dort starben, wurden sie später in den Vernichtungslagern Belzec oder Majdanek ermordet.

[42] Die Krankenschwester Hermine Eberle, geb. Holzinger, geb. 28. Januar 1911 in Berneck (Oberfranken), eine Tochter des Arztes Jakob Holzinger und der Selma Holzinger, geb. Oettinger. Das Ehepaar Rudolf und Hermine Eberle wohnte damals auf der Baleareninsel Ibiza. Von dort emigrierten sie nach Kriegsende nach Bogotá (Kolumbien). Die Eltern von Hermine Eberle hatten am 8. November 1940 in Stuttgart Selbstmord begangen, weil sie keine Möglichkeit zur Auswanderung hatten. Vgl. hierzu Der jüdische Frisör. Auf Spurensuche: Juden in Stuttgart-Ost. Stuttgart 1992, S. 41-48.

[43] Dr. Siegried Oettinger wurde in der Familie „Frieder“ genannt.

[44] Lilo Klonover, geb. Oettinger, geb. 16. Januar 1923 in Schwäbisch Hall, eine Tochter von Hugo und Paula Oettinger. Aus der Ehe mit Helmut Klonover gingen später mit Jossie, Judah und Esther drei Kinder hervor.

[45] Hanna Nash, geb. Oettinger, geb. 14. Dezember 1914 in Hof (Bayern), eine Tochter von Hugo und Paula Oettinger, die Anfang 1936 nach Palästina emigrieren konnte. Ihr zweiter Sohn Gideon wurde am 4. April 1941 geboren. Kurz darauf wurde sie von ihrem ersten Ehemann Joël Nash geschieden. Später heiratete sie Franz Bettelheim und emigrierte mit ihm 1958 nach New York.

[46] Ernst Thanhauser (Yecheskel Tanai), geb. 22. Dezember 1913 in Konstanz, ein Sohn von Hans und Martha Thanhauser, der 1935 nach Palästina emigriert war und dort in erster Ehe mit Ruth Bohme verheiratet war. 1941 wurde ihre erste Tochter Michal geboren. Ernst Thanhauser war in Kiryat Tivon anfangs als Grundschullehrer, später als Hebräischlehrer für Einwanderer tätig. Er starb am 29. April 1990.

[47] Vermutlich Ida Guggenheim, nicht eindeutig zu ermitteln.

[48] Lina und Josefine Guggenheim aus Gailingen gehörten zu den badischen Juden, die am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in Südfrankreich deportiert wurden. Josefine Guggenheim, geb. 21. August 1882 in Gailingen, wurde von dort 1942 nach Auschwitz gebracht und ermordet. Lina Guggenheim, geb. 20. Juni 1877 in Gailingen, soll den Holocaust überlebt haben. Die Mutter der beiden Töchter war Mina Guggenheim, geb. Oettinger (1851-1934), eine Schwester von Elisabeth und Erich Bernheims Großvater Ernst (Ezechiel) Oettinger.

[49] Der Umzug stand vermutlich mit einer weiteren Konzentration der in Stuttgart verbliebenen Juden auf bestimmte Häuser in Verbindung.

[50] Herbert Siegfried Oettinger, seine Ehefrau Karoline Oettinger, geb. Mayer und deren Schwester Nelly Oettinger, geb. Mayer wurden am 15. November 1941 nach Buttenhausen verschleppt.

[51] Die Schwestern Jerda Oettinger, geb. 11. Februar 1880 in Buttenhausen, und Minna Oettinger, geb. 15. Juli 1878 in Buttenhausen, wohnten zuletzt in Augsburg und wurden am 3. April 1942 in das ostpolnische Ghetto Piaski deportiert. Vermutlich noch im selben Jahr wurden sie in den Vernichtungslagern Belzec oder Sobibor ermordet. Sie waren Töchter aus der ersten Ehe von Salomon Oettinger aus Buttenhausen, einem Bruder von Elisabeth und Erich Bernheims Großvater Ernst (Ezechiel) Oettinger.

[52] Die Schwestern Clara Oettinger, geb. 14. Mai 1886 in Buttenhausen, und Ida Oettinger, geb. 12. Juni 1891 in Buttenhausen, wohnten zuletzt in Frankfurt am Main und wurden am 20. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt (poln. Lodz) deportiert. Später wurden sie vermutlich im Vernichtungslager Chelmno ermordet. Sie waren Töchter aus der zweiten Ehe von Salomon Oettinger aus Buttenhausen, einem Bruder von Elisabeth und Erich Bernheims Großvater Ernst (Ezechiel) Oettinger.

[53] Herbert Siegfried und Karoline Oettinger wurden am 22. August 1942 von Buttenhausen in das KZ Theresienstadt deportiert. 1944 wurden sie im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

[54] Heinz (Chaim) Thanhauser, geb. 10. September 1920 in Konstanz, ein Sohn von Hans und Martha Thanhauser, konnte im Juli 1940 nach Palästina emigrieren, wurde Polizist und lebte wie sein Bruder Ernst in Kiryat Tivon. Er starb am 24. Februar 1974.

[55] Werner Holzinger, geb. 12. September 1917 in Stuttgart, ein Sohn des Arztes Jakob Holzinger und der Selma Holzinger, geb. Oettinger, wohnte damals bei Rudolf und Hermine Eberle auf Ibiza. Er starb am 16. April 1968 bei einem Motorradunfall.

[56] Eva Gerson, geb. Oettinger, die mit ihrem Ehemann in New York lebte.

[57] Emma Oettinger, geb. Landauer, starb kurz darauf am 22. April 1943 in Schwanden.