Israelitische Kultusgemeinde Konstanz K.d.ö.R.  und Stadt Konstanz luden zum „Europäischen Tag der jüdischen Kultur 2005“ ein

Großer Andrang mit Festcharakter

 

Jährlich wird in verschiedenen Ländern der „Europäische Tag der jüdischen Kultur“  veranstaltet und in Baden Württemberg von der Landeszentrale für politische Bildung initiiert. Am Sonntag,  dem 4. September, von 11 bis 18 Uhr beteiligte sich erstmals auch die Israelitische Kultusgemeinde Konstanz K.d.ö.R. in Zusammenarbeit mit dem Hauptamt der Stadt daran und  lud die Bevölkerung zu einem Tag der offenen Tür ein. Es wurde eine Riesenerfolg!

 

Eröffnet wurde die Veranstaltung  bei strahlendem Sommerwetter von Kulturbürgermeister Claus Boldt und Benjamin Nissenbaum. Boldt würdigte den Beitrag der Gemeinde zum sozialen Leben in der Stadt und erinnerte an Dr. Erich Bloch und dessen Verdienste um den Aufbau der Judaica-Bibliothek. Er freue sich, so der Bürgermeister, auf die koscheren Speisen, von denen er einige schon in Israel schätzen gelernt habe.

 

Benjamin Nissenbaum zeichnete in seiner Ansprache in kurzen Umrissen die über 40jährige Geschichte der Kehilla Konstanz nach und betonte ausdrücklich, dass die Gründung und Entwicklung der Gemeinde der Initiative und den mit vielen persönlichen Opfern verbundenen Anstrengungen seiner Eltern, Sonja und Schimon Nissenbaum, zu verdanken seien. 

Schließlich wies er darauf hin, dass  die Gemeinde keineswegs zum ersten Mal ihre Türen für die Bevölkerung öffne und fuhr fort:

„Vor zwei Jahren, anlässlich der Eröffnung der hier neu gestalteten Fußgängerzonen haben wir erstmals eine ähnliche Veranstaltung wie heute durchgeführt. In den über 40 Jahren des Bestehens der Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg hatten wir oft Gäste bei G’ttesdiensten am Schabbat und an unseren Feiertagen in der Synagoge, bei Vorträgen und Feierlichkeiten im Gemeindezentrum. Schließlich ist auch unsere Bibliothek eine Einrichtung, die seit 23 Jahren der gesamten Öffentlichkeit und nicht nur unseren Gemeindemitgliedern zur Benutzung offen steht.

 

Peter Stiefel, unser 2. Vorsitzender, führte zahlreiche Schulklassen, Kirchengruppen und Gruppen der „Tourist-Information“ Konstanz in die Synagoge und über den jüdischen Friedhof. Im Mai wählte der Kantonsbibliothekar des Kantons Thurgau die IKG als Programmpunkt für den „Bibliothekartag 2005“ aus und besuchte mit dreißig Bibliothekaren unserer Schweizer Nachbarschaft die Synagoge und die Bibliothek. Peter Stiefel hat errechnet, dass allein in diesem Jahr schon an die 800 Besucher unsere Gemeinde kennengelernt haben und damit viel über jüdisches Leben in Konstanz erfahren konnten.

 

Warum begrüßen und fördern wir dies? Die Mission zum jüdischen Glauben schließlich wird im Judentum strikt abgelehnt – und dennoch freuen wir uns über das Interesse. Denn wir hoffen, dass nach allem, was in der Vergangenheit geschehen ist  und wovon die Gedenkstele für die deportierten Konstanzer Juden, die Sie dort hinten sehen, zeugt, ein besseres Kennenlernen unseres Lebens in dieser Stadt ein Beitrag dazu ist, dass Antisemitismus und Vorurteile abgebaut oder zumindest nicht noch weiter verbreitet werden können, als dies ohnehin noch immer der Fall ist.

 

Wir möchten Ihnen heute mit diesem Tag zeigen, dass Juden gerne in dieser Stadt leben, dass sie bei allem Erinnern an die Vergangenheit hoffnungsvoll in die Zukunft eines Miteinanders aller Religionen in dieser Stadt schauen – und dass sie ihren eigenen, jüdischen Glauben in jahrtausende Jahre alter Tradition selbstbewusst, und fröhlich leben!

 

Zum Abschluss möchte ich mich noch ganz herzlich bei der Stadt Konstanz für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Planung dieses Tages bedanken, besonders bei Herrn Claus-Dieter Hirt vom Hauptamt, und ebenso herzlich bei Ihnen, Herr Bürgermeister Boldt, dass Sie heute morgen hier zu uns gekommen sind, um gemeinsam mit mir diesen Tag zu eröffnen.

 

Der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Konstanz, unser Rabbiner Schlomo Schiff, Herr Kantor Reuven Konnik und alle Gemeindemitglieder heißen Sie jetzt ganz herzlich willkommen und wünschen Ihnen interessante und  anregende Stunden bei uns! Schalom!“

 

Benjamin und Gideon Nissenraum führten Bürgermeister Boldt sowie Claus-Dieter Hirt und Roland Bunten, die beiden Mitorganisatoren vom Hauptamt der Stadt, persönlich durch die Synagoge, den „Nisskosher“-Laden, die Bibliothek und das Gemeindezentrum. Sie nutzten anschließend ausgiebig die Gelegenheit, bei koscheren Speisen ausführliche Gespräche zu führen.

 

Gleich nach der offiziellen Eröffnung spielte eine Band  schwungvoll und mitreißend mit Klezmer- und anderer jüdischer und israelischer Musik auf. Schon strömten die zahlreichen Besucher in die Synagoge, die um  11.30 Uhr und schließlich wieder um 14 Uhr sowie um 16 Uhr zur Besichtigung geöffnet wurde. Dort beantworteten Peter Stiefel, Chasan Reuven Konnik, Felix Spektor und Avi Narunski zusammen mit Raw Schlomo Schiff  Fragen zur jüdischen Religion, zu Ritus und Gebräuchen, dazu, was „koscher“ bedeutet und alles beinhaltet, zu den Festen und zum Gemeindeleben. Reuven Konnik trug ein Beispiel für Chasanut vor und zeigte damit den tief beeindruckten Zuhörern sein großes gesangliches Können.

 

Von der Synagoge drängten die Besucher dann  in die Dr.-Erich Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek, wo deren Leiter Thomas Uhrmann zu jeder vollen Stunde den Bestand erläuterte  und die rabbinische Literatur vorstellte.

Bücher zum Thema Judentum bot auch die Buchhandlung Homburger und Hepp an, die mit einem Bücherstand vertreten war.

 

Der „Europäische Tag“ stand in diesem Jahr unter dem Leitthema „Wissen und der Geschmack: die Küche in der jüdischen Tradition", und gleich nach den Eröffnungsansprachen eröffnete Benjamin Nissenbaum ein riesiges koscheres Buffet mit osteuropäischen jüdischen Spezialitäten, das vor dem Schabbat und noch in der Nacht unmittelbar nach Mozei Schabbat von S. Cherevko vorbereitet worden war. Wer hier nur ein wenig später kam, ging leer aus – so schnell hatte sich herumgesprochen, welche Köstlichkeiten die koschere Küche (und speziell die Konstanzer!) hervorbringen kann. Vor dem Haus, wo Dieter Klug vom Restaurant „Suppengrün“ seine Tische und Stühle zur Verfügung gestellt hatte, bot Mosche Amir mit seiner Frau Christine selbstgemachten Dattellikör und israelische Spezialitäten an, die ebenfalls reißenden Absatz fanden. Die lange Schlange vor ihrem Stand wollte nicht abreißen.  Für den, der einen Wein aus Israel oder andere koschere Artikel zu Hause probieren wollte, stand Aaron Schecht  im „Nisskosher“-Geschäft für die Beratung der Kunden bereit.

 

Schnell liess die Stimmung Festcharakter aufkommen, und der Platz vor dem Haus wurde zu einer wahren Festmeile. Hier präsentierte auch Graveurmeister Samuel Skuckis den Besuchern seine künstlerischen Arbeiten mit jüdischen Motiven, darunter eine handwerkliche Kostbarkeit, die schon in Zürich für Nachfrage sorgte: das ganze „Schma Israel“-Gebet in goldenen hebräischen Buchstaben in Granit eingraviert. 

 

Zwei zusätzliche Programmpunkte lagen an anderen Orten der Stadt. So führte Felix Spektor durch das „jüdische Konstanz“ und Peter Stiefel über den jüdischen Teil des  Hauptfriedhofes. Auch diese spannenden „Exkursionen“ fanden großen Zuspruch.

 

Außerdem sorgten im Eingangsbereich eine Fotoausstellung über das Gemeindeleben und ein Schauraum mit einem für den Schabbat gedeckten Tisch, flankiert mit den Kleidungsstücken eines Chasan und einem Tallitträger, für die richtige Einstimmung auf dem Weg zum Synagogenraum.

 

Zwischen all den Besucher begegneten einem immer wieder Vertreter der lokalen und überregionalen Presse. Schon im Vorfeld erfuhr dieser „Tag der offenen Tür“ große Aufmerksamkeit in den Medien und wurde mit redaktionellen Beiträgen oder in den Veranstaltungshinweisen unter anderem im „Südkurier“, dem „St. Galler“- und „Thurgauer Tagblatt“, in „der konstanzer“, den „Kulturblättern (Qlt)“, „akzent“ und im Südwestrundfunk (SWR) angekündigt. „Seefunk Radio“ sendete ein Interview mit dem Leiter der Judaica-Bibliothek. In den erwähnten Zeitungen waren dann in den Tagen danach ausführliche Berichterstattungen zu lesen, und der Fernsehsender „euro 3“ brachte neben einem Interview mit Benjamin Nissenbaum filmische Impressionen von den Programmpunkten in der Sigismundstrasse. Auch auf mehreren Seiten im Internet wurde der Konstanzer „Europäische Tag der jüdischen Kultur“ angekündigt und danach durch die Presseberichte ergänzt, so zum Beispiel bei www.hagalil.com,  www.juden.de, bei www.jewisheritage.org, www.alemannia-judaica.de  und auf der offiziellen Homepage der Stadt Konstanz.

 

Fotografisch und filmisch dokumentierten schließlich noch Studenten der Fachhochschule Konstanz den abwechslungsreichen Tag. Sie arbeiten derzeit an einem bereits bundesweit beachteten Ausstellungs-, Publikations- und Dokumentarfilmprojekt unter dem Titel „Jüdische Jugend 2005 in Deutschland“(http://juedischejugend2005.ag.fh-konstanz.de ), das unter der Schirmherrschaft des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, steht. Wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit sind Begegnungen und Gespräche mit jungen Juden in Deutschland. Die darauf basierende Ausstellung und der für das Fernsehen sendefähige und Festival-taugliche Dokumentarfilm sollen „einen bedeutenden, aber weithin unbekannten Aspekt deutscher Gegenwart“ darlegen. Die Ausstellung wird am 3. Dezember 2005 in New York eröffnet werden und später auch in Deutschland zu sehen sein. Von dem „Tag der offenen Tür“ der Konstanzer Kultusgemeinde waren die engagierten Studenten rundum begeistert und bezeichneten ihn als eine große Bereicherung für ihre Arbeit.

 

Mehrere hundert Besucher hatten an diesem Sonntag für einen unerwartet großen  Ansturm gesorgt, und als nach 18 Uhr die letzten von gegangen waren, blieben die beteiligten Mitglieder der Gemeinde mit den Aufräumarbeiten zurück – erschöpft, aber glücklich über ein rundum gelungenen Verlauf des Programms, an dem sie alle mit ihrem großen Einsatz dazu beigetragen haben, den einheimischen und auswärtigen Nichtjuden einen lebendigen Einblick in verschiedene Aspekte des Judentums und das Kennenlernen der Kehilla Konstanz zu ermöglichen.

Thomas Uhrmann