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Kaltennordheim (VG
Oberes Feldtal, Wartburgkreis)
Jüdische Geschichte / Betraum
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Kaltennordheim bestand eine kleine jüdische
Gemeinde im 19./20. Jahrhundert (vgl. im Bericht unten von 1872: "unsere
noch junge Gemeinde von 4 Familien"). Sie hatte allerdings keine
Selbständigkeit; die jüdischen Einwohner gehörten in der Folgezeit zur
Gemeinde in Aschenhausen.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten jüdische Personen in
Kaltennordheim zuziehen. Bereits vor 1848 betrieb ein jüdischer
Schnittwarenhändler Kahn sein Geschäft im Wirtshaus "Zum Hirsch",
doch musste er damals noch über Nacht in seinen Wohnort Aschenhausen
zurückkehren. Nach 1848 nahm die Zahl jüdischer Einwohner langsam zu. 1895
wurden 48 jüdische Einwohner (von insgesamt 1636 Einwohnern) gezählt. Dabei
handelte es sich u.a. um Angehörige der Familien Bacharach (Sigmund Bacharach
und Gida geb. Wormser), Grünstein (M. Grünstein), Katzenstein, Kaufherr (Meier
Kaufherr und Marianne, dann Isidor Kaufherr und Flora), Nussbaum (Meyr Nußbaum
und Johanne geb. Gutmann, David Nußbaum und Henriette; Philipp J. Nußbaum und
Johanne), Richheimer (Arno Richheimer und Else geb. Oppenheim), Schmidt (Jakob
Schmidt und Hannah), Sonder (Sußmann Sonder und Rahel geb. Rosenthal, dann
Gustav und Rosi bzw. Rosel geb. Katzenstein), Wachtel (Jakob Wachtel).
An Einrichtungen bestand zeitweise ein Betraum (s.u.); ansonsten wurden
die Einrichtungen in Aschenhausen mitbenutzt. Die in Kaltennordheim verstorbenen
jüdischen Einwohner wurden meist auf dem jüdischen
Friedhof in Aschenhausen oder an anderen Orten beigesetzt. Zu den
Beerdigungen in Aschenhausen begleiteten jüdische Gemeindeglieder den
Leichenzug bis zur Beisetzung auf dem dortigen Friedhof; christliche Nachbarn
und Freunde gingen bis zum Stadtrand in Richtung Aschenhausen mit.
Um 1900 waren die jüdischen Familien im Leben der Gemeinde völlig
integriert. Unter den Kaltennordheimer Kriegsveteranen von 1870/71 war Louis
Hecht. Im Männerchor "Liedertafel" war Joseph Nußbaum Mitglied.
Adolf Stern war nach dem Ersten Weltkrieg Vorsitzender des Kriegervereins
Kaltennordheim.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Sally Nußbaum (geb.
6.5.1883 in Kaltennordheim, vor 1914 in Mellrichstadt wohnhaft, gef. 16.6.1916).
Sein Name findet sich auf dem Kriegerdenkmal des Ortes. Der Gefreite Isidor
Kaufherr wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Nach dem Krieg erhielt Frau
Meta Kaufherr eine Auszeichnung für ihre Verdienste zum Wohle des
"Vaterlandes".
Um 1924 wurden 40 jüdische Einwohner in Kaltennordheim gezählt. Unter
den jüdischen Gewerbebetrieben sind zu nennen: Viehhandlung Gustav
Sonder; Gemischtwarenhandlung Nußbaum/Bacharach; Viehhandel Isaak Schmidt,
Viehhandel/Schlachterei Jakob Schmidt, Textilhandlung A. Richheimer, Schneiderei
A. Stern, Schuh- und Lederwarenhandlung F. und M. Kaufherr,
Gemischtwarenhandlung Nußbaum/Goldschmidt, Gemischtwarenhandlung M. Schmidt,
Handlung Th. Hecht.
1933 lebten noch etwa 38 jüdische Personen in Kaltennordheim. In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Einwohner auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert (21 Personen). Die letzten
sechs in Kaltennordheim lebenden jüdischen Personen wurden 1942 in einem im
Besitz der Familie Richheimer (Tuchhändler) befindlichen Haus am Neumarkt
zusammengetrieben und am folgenden Tag deportiert. Andere wurden von anderen
Orten aus deportiert. In der nachfolgenden Liste werden auch Personen genannt,
die in Kaltennordheim geboren sind und später an anderen Orten gelebt
haben:
Von den in
Kaltennordheim geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Siegmund (Sigismund)
Süßmann Bacharach (1871), Ernst Ludwig Bayerthal (1902), Julius Grünstein
(1877), Karl Grünstein (1875), Selma Katz geb. Grünstein (1869), Josef
Kaufherr (1889), Paula Krolik geb. Richheimer (1882), Frieda Lewandowski (1900),
David Nußbaum (1880), Johanna (Hanna) Nussbaum geb. Gutmann (1869), Wilhelm
Nussbaum (1878), Irma Oppenheimer (1911), Julius Oppenheimer (1913), Else
Richheimer geb. Oppenheimer (1881), Antonia (Toni) Rossmann geb. Schmidt (1904),
Rosa Sander geb. Sonder (1890), Isak Schmidt (1871), Jakob Schmidt (1861),
Katharina (Kätchen, Käte) Schmidt (1895), Martin Schmidt (1902), Mathilde
Schmidt geb. Wollner (1880), Harry Sinsheimer (1907), Frieda Sonn geb.
Katzenstein (1880), Adolf Stern (1880), Marie Stern geb. Wollner (1882), Josef
Wachtel (1883), Max Wachtel (1878), Sally Wachtel (1882), Ida Weil geb. Wachtel
(1890), Selma Wertheim geb. Schmidt (1902).
Das Foto oben zeigt einen Gedenkstein für Käte Schmidt aus Kaltennordheim
auf dem jüdischen Friedhof in Aschenhausen,
darauf eingetragen: am 19. Oktober 1941 nach Lodz, Polen
verschleppt.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige von Philipp J. Nussbaum (1905)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 1. Dezember
1905: "Suche zum sofortigen Eintritt einen Lehrling mit guten
Schulkenntnissen. Kost und Logis frei im Hause ohne Lehrgeld. Samstags und
Feiertage geschlossen.
Philipp J. Nussbaum,
Kaltennordheim." |
Hochzeitsanzeige von Carl Jungheim und Hedi Jungheim
geb. Schmidt (1928)
Anzeige in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 10. August 1928:
"Carl Jungheim - Hedi Jungheim geb. Schmidt
beehren sich, ihre Vermählung bekannt zu geben. Trauung Sonntag, den 12.
August, 1/2 1 Uhr, Hotel Emanuel, Kassel, wozu wir Verwandte und Bekannte
herzlich einladen.
Bad Wildungen Kaltennordheim
(Rhön)." |
Sonstiges
Antisemitischer
Prozess vor der Strafkammer in Eisenach gegen einen antisemitischen Redakteur
von Kaltennordheim (1884)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juni
1884: "Aus Thüringen. Am 12. dieses Monats (12. Juni
1884) spielte, wie bereits kurz berichtet, vor der Strafkammer in Eisenach
ein antisemitischer Pressprozess, dessen Ausgang es wohl verdient, Notiz
von ihm zu nehmen. Der Redakteur der in Kaltennordheim erscheinenden 'Feldazeitung',
eines wenig verbreiteten Blättchens, Herr Unglaube, hat schon seit
einiger Zeit in demselben Stilübungen in antisemitischen Hetzartikeln zu
Tage gefordert. So brachte er auch vor Kurzem eine Blumenlese aus dem
Talmud, durch welche nachgewiesen werden sollte, dass es den Juden erlaubt
sei, die Christen zu belügen und zu betrügen usw. Diesen Unglaublichkeiten
fügte er die Bemerkung hinzu, dass der Talmud das Gesetzbuch der Juden
sei, dessen Vorschriften, also auch die von ihm angeführten, alle Juden
befolgen. Der Landrabbiner, Herr Dr. Salzer in Stadtlengsfeld,
machte ihn brieflich darauf aufmerksam, dass seine Blumenlese lauter
Unwahrheit enthalte und ersuchte ihn, dieselben zu widerrufen,
widrigenfalls er genötigt sein würde, der Staatanwaltschaft Anzeige zu
machen. Anstatt des Widerrufes ließ Herr Unglaube einen neuen, nciht
minder gehässigen Artikel vom Stapel. Herr Dr. Salzer legte hierauf diese
Angelegenheit in die Hände des Großherzoglichen Staatsanwaltes. Am 12.
dieses Monats fand die strafgerichtliche Verhandlung und die Vernehmung
des vom Gerichte erwählten Sachverständigen, des Redakteurs der
'Eisenacher Zeitung', Herrn Löwenheim, statt. da derselbe zwar die
Behauptungen des Herrn Unglaube verneinte, aber doch erklärte den Talmud
nicht genau zu kennen, so trug der Anwalt des Herrn Unglaube auf Vorladung
eines andern Sachverständigen an und schlug zu diesem Zwecke einen
Professor in Münster, der in einem ähnlichen Prozesse vernommen wurde,
vor. Der Staatsanwalt widersprach diesem Ansuchen überhaupt und
namentlich noch in Bezug auf den genannten Herrn. Die Akten des
Münster'schen Prozesses in ähnlicher Angelegenheit lagen dem Gerichte
vor, in diesem aber fände sich die Erklärung des erwähnten
Sachverständigen, dass ihm eine genauere Kenntnis des Talmuds, sowie des
talmudischen Idioms abgehe. Es sei die bei den Akten liegende
Erklärung des Herrn Landrabbinen, dass die betreffenden Behauptungen sich
im Talmud durchaus nicht vorfinden und vollständig aus der Luft gegriffen
seien, als ein autoratives und genügendes Sachverständigenurteil
anzusehen; sollte aber das Gericht dennoch einen Sachverständigen hören
wollen, so schlage er Herrn Professor Dr. Delitzsch in Leipzig
vor, der auf diesem Gebiete eine anerkannte Autorität sei. Der
Gerichtshof erklärte die Vernehmung noch eines Sachverständigen für
unnötig. Herr Staatsanwalt Siefert führte ferner aus: Da der sehr
beschränkte Leserkreis des in Rede stehenden Blättchens die nachteilige
Wirkung seines Inhaltes mindere, und da Herr Unglaube selbst erklärt
habe, seine Anführungen aus einer antisemitischen Zeitung entnommen zu
haben, und diese sich, wie der Herr Staatsanwalt sich mit Recht
ausdrückte, sonderbarer Weise 'Die Wahrheit' nenne, so sei anzunehmen,
dass er in gutem Glauben gehandelt habe und sei daher von einer Bestrafung
anzusehen. Die Behauptung des Herrn Unglaube aber, dass alle Juden nach
diesen Talmudgesetzen handeln, sei eine strafbare Beleidigung der Juden
und er beantrage deshalb gegen den Redakteur, Herrn Unglaube, die
Zuerkennung einer vierwöchentlichen Gefängnisstrafe. Der Gerichtshof
entschied diesem Antrage gemäß. Herr Unglaube musste noch die
Bemerkung des Herrn Staatsanwaltes hinnehmen, dass sein Antisemitismus
wohl seinen Grund in dem Umstande habe, dass ein Jude in Kaltennordheim
die für ihn beim Vorschussvereine eingegangene Bürgschaft zurückgezogen
habe." |
Prozess
gegen den Kaufmann Ernst August Völker von Kaltennordheim nach einem Viehhandel
mit Viehhändler Schuster in Nordheim (1892)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 29. April
1892: "Eisenach, 14. April (1892). In der gestrigen Sitzung
der Strafkammer des hiesigen Landgerichts wurde gegen den Kaufmann
Ernst August Völker von Kaltennordheim wegen Verleitung zum
Meineid verhandelt. Angeklagter hat wegen eines Viehhandels mit dem Viehhändler
Schuster in Nordheim vor der Rhön
einen Prozess vor dem Gerichte zu Schweinfurt. Der Maurer Greifzu in
Mittelsdorf, der von dem Handel wusste, sollte in dieser Sache als
Zeuge vernommen werden. Vor dem Termin ließ nun Völker den Greifzu in
seinen Laden kommen, um ihn gewissermaßen zu instruieren, was er aussagen
sollte, damit er, der Völker, den Prozess gewinne. Völker fragte zuerst
den Greifzu, was er aussagen wolle. Als dieser sich darüber äußerte,
sagte Völker: 'Das darfst Du nicht sagen, Du musst so und so sagen'. Da
erwiderte Greifzu: 'Das kann ich nicht sagen, ich muss schwören: und da
sage ich eben einfach die Wahrheit.' Darauf entgegnete Völker: 'Ach was,
Wahrheit, komme mir nicht immer mit Deiner Wahrheit, Juden gegenüber
braucht man's nicht genau zu nehmen.' Greifzu ließ sich indessen
nicht beirren, sagte in Schweinfurt vor dem dortigen Zivilgericht die
Wahrheit und - Völker verlor den Prozess. Da sein Verhalten bekannt
wurde, stand er nun gestern wegen Verleitung zum Meineide vor der
Strafkammer hiesigen Landgerichts. Die großherzogliche Staatsanwaltschaft
hielt die Klage in vollem Umfange aufrecht und beantragte eine
Zuchthausstrafe von 1 Jahr 6 Monaten und Verlust der Ehrenrechte auf 3
Jahre. Der Gerichtshof erkannte auf ein Jahr Zuchthaus und schloss
sich in letzterem Punkte der Staatsanwaltschaft an." |
Zur Geschichte der Synagoge
Spätestens um 1870 war ein Betraum eingerichtet, für den
im Sommer 1872 M. Grünstein eine Torarolle spendete. Sie wurde am 6.
Juli 1872 von den jüdischen Familien mit einem Gottesdienst und einer kleinen
Feier bei einem "solennen Frühstück"
eingeweiht.
Eine von M. Grünstein gespendete
Torarolle wird eingeweiht (1872)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Juli 1872:
"Kaltennordheim.Je schmerzlicher wir es empfinden, wie unsere
Zeit unsere heilige Religion und deren Satzungen vernachlässigt, umso
anerkennenswerter ist das Verdienst eines Mannes, der selbst in einer
Gegend, wo man durch das unselige Verfahren eines Heß gegen alles
religiöse Interesse abgestumpft und gleichgültig ist, eine rühmliche
Ausnahme macht. In unserer noch jungen Gemeinde von 4 Familien hat Herr M.
Grünstein eine Sefer Tora schreiben lassen, die am Schabbat
Paraschat Korach (= 6. Juli 1872) eingeweiht wurde, nicht durch
frivole Lustbarkeit, sondern durch einen gottgefälligen Gottesdienst.
Nachdem derselbe geendigt war, gab der Stifter den sämtlichen Anwesenden
ein solennes Frühstück. Bei solchen seltenen Erscheinungen in hiesiger
Gegend kann man sich des Spruches nicht enthalten: (hebräisch und
deutsch:) noch ist Israel nicht verwaist, noch ist das jüdische
Herz nicht erloschen, und so wird sein Auge auch wieder klar sehen, seine
Fehler erkennen und zurückkehren zu seiner Pflicht. Das walte Gott!"
|
Wie lange in diesem Betraum Gottesdienste abgehalten
wurden, ist nicht bekannt. Möglicherweise traf man sich im Laufe der Zeit nur
zu Festtagesgottesdiensten und zu besonderen Anlässen.
Vergleiche zum obigen die Angabe bei Israel Schwierz S. 169: Die Juden von
Kaltennordheim besaßen keine Synagoge, sondern für kurze Zeit lediglich eine
Betstube im Haus Sonder (Meininger Straße 10).
Adresse/Standort des Betraumes: Meininger
Straße 10 (Angabe bei Schwierz)
Fotos
Es sind noch keine Fotos zur
jüdischen Geschichte in Kaltennordheim vorhanden;
über Zusendungen freut sich der Webmaster der "Alemannia
Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. |
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Hinweis: Fotos und Abbildungen
finden sich in der Publikation von Hans Nothnagel (siehe
Lit.) |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Israel Schwierz: Zeugnisse jüdischer Vergangenheit
in Thüringen. Eine Dokumentation - erstellt unter Mitarbeit von Johannes
Mötsch. Hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen (www.lzt.thueringen.de)
2007. S. 169-170 Zum Download
der Dokumentation (interner Link). |
| Ausführlich mit Fotos und Abbildungen: Hans Nothnagel:
Jüdisches Leben in Kaltennordheim. Ein Resümee. In: Hans Nothnagel
(Hrsg.): Juden in Südthüringen, geschützt und gejagt. Band 5: Jüdische
Gemeinden in der Vorderrhön. S. 90-122. |
n.e.
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